Das Bundesarbeitsgericht hält an der 3-Stufen-Theorie zur Überprüfung eines Eingriffs in die Versorgung fest – auch wenn der Eingriff vor mehr als 30 Jahren erfolgte.
Das BAG hatte im Verfahren AZ 3 AZR 247/23 (Parallelentscheidung 3 AZR 255/23) die Gelegenheit genutzt, sehr deutlich im Rahmen einer verschlechternden Ablösung an seiner bisherigen Rechtsprechung zur 3-Stufen-Theorie festzuhalten und betont, dass diese auch dann Prüfungsmaßstab ist, wenn, wie hier, die Ablösung schon Jahrzehnte zurückliegt.
Der Fall vor dem BAG
Der im August 1955 geborene Kläger war seit Oktober 1986 bei der H S AG – einem Tochterunternehmen der H AG – beschäftigt. Die Altersversorgung wurde durch eine Konzernbetriebsvereinbarung vom 1.10.1977 geregelt, die u. a. eine sehr großzügig formulierte dienstzeit- und gehaltsabhängige Versorgung vorsah.
Verschlechternde Ablösung
Die Konzernbetriebsvereinbarung vom 1.10.1977 wurde dann zum 1.1.1987 durch eine neue, verschlechternde Konzernbetriebsvereinbarung abgelöst. Nunmehr galt ein Festbetragssystem, welches für den Betroffenen eine deutlich geringere Versorgung bedeutete. Begründet wurde die Verschlechterung mit einem außergewöhnlich hohen Rückstellungsbedarf des Konzerns (H-AG).
Der ehemalige Arbeitnehmer war der Auffassung, dass für ihn die ursprüngliche Konzernbetriebsvereinbarung von 1977 gelte, und er damit eine betriebliche Altersversorgung in Höhe von 698,44 Euro statt der geleisteten 180,76 Euro beanspruchen könne. Es liege ein Eingriff in die sog. erdiente Dynamik vor. Ein solcher Eingriff dürfe nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur aus triftigen Gründen erfolgen. Mit dieser Argumentation scheiterte der ehemalige Arbeitnehmer allerdings sowohl vor dem Arbeitsgericht Bochum II (Urteil vom 12.1.2022; 3 Ca 553/21) als auch vor dem Landesarbeitsgericht Hamm (Urteil vom 27.9.2023; 4 Sa 124/22).
Die Entscheidung des BAG
Das BAG sah dies zu Gunsten des ehemaligen Arbeitnehmers anders und hob das Urteil des LAG Hamms unter Zurückweisung an dieses auf.
3-Stufen-Theorie als Lösung des Konflikts zwischen flexibler Reaktionen auf Krisen vs. Vertrauensschutz der Arbeitnehmer
Das BAG will Arbeitgebern nicht die Möglichkeit nehmen, auf Krisen (im konkreten Fall immer weiter steigender Rückstellungsbedarf) auch durch Eingriffe in die Versorgungen der Arbeitnehmer zu reagieren. Andererseits muss in die Waagschale auch das schützenswerte Interesse der Arbeitnehmer geworfen werden. Das BAG löst diesen Konflikt mit der 3-Stufen-Theorie, die es im Rahmen dieser Entscheidung nochmals bekräftigt.
Grundsätzliches Schema der 3-Stufen-Theorie
Mit Hilfe der 3-Stufen-Theorie gelingt ein sachgerechter Interessenausgleich, indem Eingriffe in die Versorgung nicht generell möglich und auch nicht generell unmöglich sind.
1. Stufe | Eingriff in bereits erdiente Anwartschaften | Nur in seltenen Ausnahmefällen. Zwingende Gründe erforderlich |
2. Stufe | Eingriff in dynamische Berechnungsgrundlagen | Es müssen triftige Gründe vorliegen |
3. Stufe | Eingriff in künftig erdienbare Anwartschaften | Es müssen sachlich-proportionale Gründe vorliegen |
Für Arbeitgeber wichtig: Auch nach Jahrzehnten kann es zu einer Überprüfung der Einhaltung der 3-Stufen-Theorie kommen
Das BAG formuliert sehr deutlich, dass „der Umstand, dass im Streit mit dem einzelnen Arbeitnehmer darüber, ob eine Ablösung wirksam erfolgt ist, der Arbeitgeber ggf. noch Jahrzehnte später darlegen muss, welche Gründe es für die Ablösung gab, vermag entgegen der Ansicht der Beklagten kein Absehen von den Anforderungen zu begründen.“
Damit ist auch deutlich gesagt, dass die Gründe, die eine verschlechternde Ablösung begründeten, sehr gut dokumentiert werden müssen.
Kein Eingriff auf der 2. Stufe
Das BAG sah keinen Eingriff in die erdiente Dynamik, weil die dem Kläger gewährte Betriebsrente mit 180,76 Euro monatlich über dem zum 31. Dezember 1986 erdienten und dynamisierten Teilbetrag iHv. 20,54 Euro monatlich liegt.
Eingriff auf der 3. Stufe – Abzustellen ist auf den Konzern und nicht auf einzelne Konzerntochterunternehmen.
Das BAG verortete den Eingriff auf der 3. Stufe. Sollen konzerneinheitlich die Berechnungsgrundlagen für die künftigen Zuwächse verschlechtert werden, müssen hierfür deshalb auch konzernbezogene sachlich-proportionale Gründe vorliegen.
Das bedeutet: Geht es einer Konzerntochter gut, dem Konzern aber insgesamt schlecht, müssen Arbeitnehmer eine verschlechternde Ablösung auf der 3. Stufe, sofern sachlich-proportionale Gründe greifen, gegen sich gelten lassen.
Aber auch umgekehrt gilt: Geht es dem Konzern gut, einer Konzerntochter schlecht, liegen im Rahmen der 3. Stufe keine sachlich-proportionalen Gründe vor.
Begründung der sachlich-proportionalen Gründe unzureichend – das LAG Hamm muss nacharbeiten
Dem BAG genügten allerdings die Begründung im Rahmen der sachlich-proportionalen Gründe nicht aus. Zwar kann eine Änderung des Versorgungssystems Teil eines Konzepts zur Sanierung des Konzerns sein. Eine langfristige Substanzgefährdung oder eine dauerhaft unzureichende Eigenkapitalverzinsung sind dafür nicht erforderlich. Es müssen wirtschaftliche Schwierigkeiten vorliegen, auf die ein vernünftiger Konzernarbeitgeber entsprechend reagieren darf.
Das BAG bemängelte insbesondere, dass durch das LAG nicht ermittelt wurde, ob tatsächlich Rückstellungen oder steigende Versorgungslasten als sachlich-proportionale Gründe gemeint sind. Auch wurde nach Auffassung des BAG nicht festgestellt, worauf der prognostizierte starke Anstieg der Rückstellungen zurückzuführen war.
Somit muss das LAG nacharbeiten.