Wie und ob ein auf der Ebene des Versicherungsrechts vereinbartes Bezugsrecht zu Gunsten des Bezugsberechtigten Schutzwirkung entfalten kann, wurde für die Konstellationen im Rahmen einer Insolvenz auf bAVheute schon hier und hier gezeigt.
Jetzt geht es um die Konstellation, ob das Bezugsrecht für die Todesfallleistung auch vor Ansprüchen des Erben schützt und damit um die Frage, ob ein durch Erbschein legitimierter Erbe ein Bezugsrecht für die Hinterbliebenenleistung wirksam widerrufen kann. Damit hatte sich der 5. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts Saarbrücken in seinem Urteil vom 6.3.2025, 5 W 32/24, auseinanderzusetzen.
Der Fall vor dem OLG
Zu Gunsten eines ehemaligen Arbeitnehmers bestand seit 5.1.1999 eine Zusage des Arbeitgebers auf bAV. Letzterer schloss daraufhin eine Direktversicherung ab, für deren Leistungen der Arbeitnehmer unwiderruflich bezugsberechtigt war. Als versicherte Leistung war eine Kapitalzahlung im Todes- und Erlebensfall vereinbart. Im Versicherungsvertrag fand sich die (übliche) Regelung zu der Bezugsrechts-Reihenfolge der Hinterbliebenenleistung.
„Werden bei Ihrem Tod aus der Versicherung Leistungen fällig, so ist/sind widerruflich bezugsberechtigt:
- Ihr zum Todeszeitpunkt mit Ihnen in gültiger Ehe lebender Ehegatte,
- falls ein anspruchsberechtigter Ehegatte nicht vorhanden ist, Ihre ehelichen und die diesen gesetzlich gleichgestellten Kinder zu gleichen Teilen,
- falls auch keine anspruchsberechtigten Kinder vorhanden sind, Ihre Eltern zu gleichen Teilen,
- falls keine der aufgeführten Personen vorhanden ist, Ihre Erben.
Sämtliche Bezugsrechte sind nicht übertragbar und nicht beleihbar.“
Am 13.12.2018 verstarb der unverheiratete ehemalige Arbeitnehmer und hinterließ zwei Kinder. Beerbt wurde er von seiner Schwester, die auch im Besitz eines entsprechenden Erbscheins war. Sie wurde Rechtsnachfolgerin ihres Bruders, und trat damit rechtlich an dessen Stelle.
Am 8.2.2019 widerrief die Schwester gegenüber dem Versicherer als Erbin und somit Rechtsnachfolgerin ihres Bruders die (widerrufliche) Bezugsberechtigung für die Todesfallleistung zu Gunsten der Kinder. Gleiches tat sie mit der Schenkung ihres verstorbenen Bruders an seine Kinder, indem sie davon ausging, dass dieser zu Lebzeiten die Begünstigung (Hinterbliebenenleistung) an seine Kinder geschenkt hatte.
Am 8.5.2019 zahlte das Versicherungsunternehmen die Versicherungssumme in Höhe von 68.800,29 € zu gleichen Teilen an die beiden Kinder als Bezugsberechtigte aus, womit die Schwester als Erbin nicht einverstanden war.
Die Argumente der Schwester als Rechtsnachfolgerin des verstorbenen Arbeitnehmers:
Sie meinte, dass das Versicherungsunternehmen durch die Auszahlung der Todesfallleistung an die beiden Kinder in Kenntnis des bereits ausgesprochenen Widerrufs ihre Treuepflichten gegenüber ihr als Erbin und Rechtsnachfolgerin des Erblassers verletzt habe. Im Übrigen wurde der Versicherungsschein nicht vorgelegt und der Versicherer hätte die Auszahlung unter Erhebung des Einwandes der unzulässigen Rechtsausübung verweigern müssen.
Das sah der Versicherer anders und argumentierte u.a., dass er seiner Verpflichtung zur Erfüllung des mit dem Tode des Versicherten unwiderruflich gewordenen Bezugsrechts nachgekommen sei.
So entschied das OLG
Mit dem Tod des Arbeitnehmers erstarkt das widerrufliche Bezugsrecht zum Vollrecht – Widerruf durch Erben kann dies nicht mehr ändern.
Dem ehemaligen Arbeitnehmer war für „sämtliche Leistungen“ ein unwiderrufliches Bezugsrecht eingeräumt worden mit der Folge, dass er den Anspruch auf die Leistungen sofort und unmittelbar erwarb. Die Auslegung der Passage „Bezugsrecht an sämtlichen Leistungen“ – also auch die Leistungen im Todesfall – ergibt, dass die Todesfallleistung den bezeichneten Personen in der dort genannten Reihenfolge zugewandt werden sollte. Und zwar insbesondere für den hier gegebenen Fall, dass kein Ehegatte vorhanden wäre, den Kindern zu gleichen Teilen.
Folge: Die zunächst widerruflich bezugsberechtigten Kinder des verstorbenen Arbeitnehmers haben den Anspruch auf die Todesfallleistung mit dem Tode des Versicherten schon am 13.12.2018 (Tod des Arbeitnehmers) endgültig und damit vor dem Widerruf durch die Schwester am 8.2.2019 erworben.
Das Erbrecht der Schwester tritt hinter die Erstarkung des widerruflichen Bezugsrechts zum Vollrecht zurück.
Die von der Schwester als Erbin beanspruchten Rechte aus dem unwiderruflichen Bezugsrecht des verstorbenen Bruders an „sämtlichen Leistungen“ treten dahinter zurück.
Begründung: Die Bezugsberechtigung für die Todesfallleistung aus einer Lebensversicherung verschafft dem Begünstigten im Versicherungsfall eine unentziehbare Rechtsstellung, die von den Erben der versicherten Person nicht mehr änderbar oder widerrufbar ist. Damit steht der Anspruch auf Auszahlung der Todesfallleistung allein den Kindern zu. Die Schwester als Erbin hat keinen eigenen Zahlungsanspruch gegen den Versicherer.
Analog ging das OLG davon aus, dass mit dem Tod des ehemaligen Arbeitnehmers dessen Schenkung an seine Kinder vollzogen und damit wirksam wurde.
Keine Pflichtverletzung des Versicherers
Das OLG bescheinigt dem Versicherer kein Fehlverhalten, wies aber in der Urteilsbegründung darauf hin, dass ein Lebensversicherer im Einzelfall berechtigt sein kann, die Auszahlung an den Bezugsberechtigten unter Berufung auf den Einwand einer unzulässigen Rechtsausübung im Falle „offenkundiger und leicht nachweisbarer Mängel des Valutaverhältnisses“ zu verweigern. Davon ist aber die Frage zu trennen, ob ein Versicherer, der von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch macht, deshalb auch pflichtwidrig handelt.
Ein dafür erforderliches pflichtwidriges Handeln des Versicherers setzt voraus, dass dieser trotz eines ihm bekannten Widerrufs durch den Erben die Versicherungsleistung unbesehen – d.h. ohne jedwede Prüfung der Sach- und Rechtslage – an den Bezugsberechtigten auskehrt.
Es liegt im Ergebnis keine Pflichtverletzung durch den Versicherer vor, denn er durfte davon ausgehen, dass der verstorbene Arbeitnehmer seinen Kindern die Begünstigung schon zu Lebzeiten versprochen habe mit der Folge, dass eine solche formlose Schenkung bereits mit dem Tode wirksam geworden wäre (§ 518 Abs. 2 BGB). Der Versicherer durfte damit im Zeitpunkt der Auszahlung annehmen, dass der erst nach dem Tode erklärte Widerruf der Antragstellerin ins Leere gegangen war.
Keine Pflichtverletzung des Versicherers weil der Versicherungsschein nicht vorgelegt wurde
Die Versicherungsbedingungen bestimmten, dass Leistungen „gegen Vorlage des Versicherungsscheins“ erbracht werden und „zusätzlich“ auch der Nachweis der letzten Beitragszahlung verlangt werden könne. Der Versicherer hat damit die vertraglich eingeräumte Berechtigung, an den Inhaber des Versicherungsscheins mit befreiender Wirkung zu leisten, ohne aber diesem gegenüber zur Leistung verpflichtet zu sein. Damit wird der Versicherungsschein zu einem qualifizierten Legitimationspapier i.S.d. § 808 BGB und schützt den Versicherer vor dem Risiko der Doppelzahlung.
Der Versicherer darf dann mit befreiender Wirkung an den Inhaber zahlen, muss es aber nicht. Eine (schadensersatzbewehrte) Verpflichtung des Versicherers, sich vor jeder Auszahlung den Versicherungsschein vorlegen zu lassen, wird dementsprechend dadurch nicht begründet.