Was ist bei einer Kapitalleistung der „richtige“ Wert für die Höhe der Beitragspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegekasse, wenn die Versorgung privat als Versicherungsnehmer fortgeführt wurde?
Die Verbeitragung von Leistungen einer privat fortgeführten Direktversicherung war in der Vergangenheit schon öfter Gegenstand von Urteilen, über die bAVheute berichtete.
Es ging in der Mehrzahl der Fälle um die Frage der Notwendigkeit des Versicherungsnehmerwechsels und die Beitragsfreiheit der Leistungen, die auf Zeiten privater Fortführung beruhen. Jetzt kam eine neue Fragestellung hinzu, über die das LSG Baden-Württemberg urteilte, L 4 KR 1262/21 vom 25.11.2024 (Revision ist nicht zugelassen). Es ging um die Frage, welcher Wert der Beitragspflicht zugrunde zu legen ist, wenn die Versorgung zwischenzeitlich auch privat fortgeführt wurde.
Der Fall vor dem LSG (stark verkürzt)
Am 1.1.1991 wurde zu Gunsten des ehemaligen Arbeitnehmers eine Direktversicherung mit einer Laufzeit bis zum 1.1.2020 abgeschlossen. Es folgten mehrere Arbeitgeberwechsel. Während des Versicherungsverlaufs kam es zu folgenden Konstellationen.
- Konstellation 1: Die Finanzierung erfolgte durch den Arbeitgeber als Versicherungsnehmer.
- Konstellation 2: Die Finanzierung erfolgte durch die ehemalige Arbeitnehmerin. Der Arbeitgeber war weiterhin Versicherungsnehmer.
- Konstellation 3: Die ehemalige Arbeitnehmerin wurde Versicherungsnehmerin und stellte die Versicherung beitragsfrei.
Am 2.1.2020 wurde der ehemaligen Arbeitnehmerin eine Kapitalleistung in Höhe von 56.843,56 € ausbezahlt (der Freibetrag nach § 226 SGB V wurde berücksichtigt) und die 120-Regelung angewendet (56.843,56 € / 120) als fiktive Bemessungsgrundlage für die Beitragspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung.
Bei der Ermittlung der Beitragsbemessung wurde der Anteil der Kapitalleistung, der auf Prämien für Zeiträume, in denen die Klägerin selbst Versicherungsnehmerin war und die Versicherungsbeiträge selbst gezahlt hat, nicht berücksichtigt (Konstellation 3).
Damit war die ehemalige Arbeitnehmerin nicht einverstanden und wollte gerichtlich erreichen,
- dass zur Berechnung der Beitragslast nicht an die Gesamtablaufleistung, sondern zeitabhängig an den Rückkaufswert (§ 169 VVG) angeknüpft wird. Die erzielten Überschüsse aus Zeiten privater Fortführung als VN sind aus der Gesamtleistung herauszurechnen (Ziel 1)
- dass die Kapitalleistung, die aus einer Zusage aus dem Jahr 1991 stammt, überhaupt nicht zu verbeitragen ist, weil die Beitragspflicht für Kapitalleistung gesetzlich erst ab 1.1.2004 gilt, und es sich um eine unzulässige Rückwirkung handelt (Ziel 2).
- dass die Leistungen, die auf Zeiten beruhen, als die ehemalige Arbeitnehmerin für den Arbeitgeber die Beiträge gezahlt hat, während Letzterer noch Versicherungsnehmer war, nicht zu verbeitragen sind, weil es sonst zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Doppelverbeitragung kommt (Ziel 3).
So entschied das LSG:
Das LSG wies die Berufung der ehemaligen Arbeitnehmerin gegen das vorinstanzliche Urteil zurück und gab der Krankenkasse Recht.
Ziel 1: Herausrechnen der erzielten Überschüsse, aus Zeiten privater Fortführung als Versicherungsnehmerin.
Nein. Die im Zeitraum vom 1.10.2009 bis 1. Januar 2020 (beitragsfreie Versicherung mit ehemaliger Arbeitnehmerin als VN) erzielten Erträge aus Bewertungsreserven, Schlussüberschuss und Überschussbeteiligung sind bei der Ermittlung der Beitragsbemessungsgrundlage nicht in Abzug zu bringen. Begründung: Die Vielfalt der Ausgestaltungsmöglichkeiten für Kapitalversicherungen erschwere eine Festlegung allgemeingültiger Berechnungsmodelle für die punktgenaue Zuordnung von Kapitalerträgen in jedem Einzelfall oder mache sie sogar unmöglich.
Ziel 2: Es liegt eine unzulässige Rückwirkung vor.
Nein. Es liegt keine unzulässige Rückwirkung der Regelung über die Beitragspflicht von Versorgungsbezügen in Form von Kapitalleistungen vor (Hintergrund: Kapitalleistungen sind erst ab 1.1.2004 beitragspflichtig, die Versorgung stammt aber aus dem Jahr 1999). Solche Regelungen sind verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig und entsprechen dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip, wenn das schutzwürdige Bestandsinteresse des Einzelnen die gesetzlich verfolgten Gemeinwohlinteressen bei der gebotenen Interessenabwägung nicht überwiegt.
Ziel 3: Es liegt eine verfassungsrechtlich unzulässige Doppelverbeitragung für die Zeit vor, als die ehemalige Arbeitnehmerin die Beiträge gezahlt hat, der Arbeitgeber aber noch Versicherungsnehmer war.
Nein. Für die Zuordnung zur betrieblichen Altersversorgung kommt es auch nicht darauf an, ob die Beiträge zur Lebensversicherung aus dem Brutto- oder aus dem Nettoentgelt gezahlt wurden. Ein Anspruch auf Erhalt der in der Ansparphase gegebenen Beitragsfreiheit bis in die Auszahlphase lässt sich aus dem Gesetz und der Verfassung nicht herleiten. Beitragszahlungen sind als noch betrieblich veranlasst einzustufen (und damit zu verbeitragen), solange der institutionelle Rahmen des Betriebsrentenrechts, also der auf den Arbeitgeber als Versicherungsnehmer laufende Versicherungsvertrag, zur Durchführung der betrieblichen Altersversorgung genutzt wird.
Fazit:
Ein Urteil mit Augenmaß. Eine Entscheidung, die nicht auf die Gesamtablaufleistung abgestellt und stattdessen zeitanteilig an den Rückkaufswert (§ 169 VVG) anknüpfen würde, hätte in der Praxis zu sehr viel Streit über den „richtigen“ Rückkaufswert geführt.