Die Digitalisierung hat längst schon in der bAV Einzug gehalten: Arbeitgeberplattformen zur leichten Abwicklung, Arbeitnehmerplattformen, die nicht nur Einblick in die Versorgung gewähren, sondern über die die Entgeltumwandlung angestossen werden kann, Intranet mit Informationen über die bAV.
Das passt in den Ruf nach mehr Digitalisierung in Deutschland – einem Land, dessen Defizite in diesem Bereich mittlerweile offensichtlich sind. Und nicht umsonst verspricht der Koalitionsvertrag unter der Überschrift „Mehr Fortschritt wagen“ auch – wieder einmal – mehr Digitalisierung gleich im ersten Kapitel: Moderner Staat, digitaler Aufbruch und Modernisierung sind die vollmundigen Stichworte. Und dabei darf auch die Stärkung der Digitalisierung bei KMU nicht fehlen.
Da war man ja doch gespannt, wie das in die Praxis umgesetzt wird. Und ein erster großer Lackmustest zeigt: Bürokratie und Anti-Digitalisierung feiern weiter fröhliche Urstände in Deutschland und treffen – man mag schon fast ‚automatisch‘ sagen – natürlich die KMU am härtesten.
Bisher – alles schriftlich auf Papier oder in Stein gemeißelt
Worum geht es konkret? Aufgrund der EU-Richtlinie 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union („Arbeitsbedingungsrichtlinie“) wird in Deutschland zum 1.8.2022 (oder, wenn die Veröffentlichung des Gesetzes etwas später ist, einen Tag danach) das sogenannte Nachweisgesetz geändert. Das Nachweisgesetz, das im Kern über 25 Jahre alt ist (1995), regelt, dass Arbeitsvertrag und die wesentlichen Arbeitsbedingungen, wie z. B. auch die betriebliche Altersversorgung, schriftlich niederzulegen sind, was im Übrigen auch für alle Änderungen von wesentlichen Arbeitsbedingungen gilt. § 2 Abs. 1 Satz 3 NachweisG a.F. schließt die elektronische Form sogar ausdrücklich aus. Im Zuge der zunehmenden Digitalisierung, die sich aufgrund der Lockdowns in der Pandemie nochmals beschleunigt hat, ist dieses Schriftformerfordernis weitgehend in Vergessenheit geraten. Das liegt auch daran, dass es keine Sanktionen gab – im Zweifelsfall räumten Arbeitsgerichte im Streitfall den Beschäftigten Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr ein. Daher wurde, u. a. in der bAV, munter und meist zum Vorteil der Beschäftigten digitalisiert.
EU öffnet die Digitalisierungs-Tür
Wer die Entstehung und Verabschiedung der Arbeitsbedingungen-RL 2019 verfolgte, war bis zum Januar 2021 entspannt. Denn dort ist in Artikel 3 neben der Schriftform ausdrücklich eine elektronische Übermittlung als Option erwähnt („Die Informationen sind in Papierform oder — sofern die Informationen für den Arbeitnehmer zugänglich sind, gespeichert und ausgedruckt werden können und der Arbeitgeber einen Übermittlungs- oder Empfangsnachweis erhält — in elektronischer Form zur Verfügung zu stellen und zu übermitteln“). Klaro, denn es gibt mittlerweile andere Mitgliedsstaaten in Europa, die sehr weit sind in der Digitalisierung.
Deutschland nagelt die Digitalisierungs-Tür zu
Die Überraschung war groß, dass der Referentenentwurf im Januar 2022 zur Änderung des Nachweisgesetzes weiter am Schriftformerfordernis festhält und den Nachweis in elektronischer Form kategorisch weiterhin ausschließt. Und schlimmer: Ein Verstoß gegen das Nachweisgesetz wird künftig mit Bußgeld bewehrt i.H.v. bis zu 2000 Euro. Da freuen sich Arbeitgeber, die mehr Papierberge produzieren dürfen (das wird übrigens unter den „Nachhaltigkeitsaspekten“ des Gesetzentwurfs einfach „übersehen“), und da freuen sich Arbeitnehmer, die z. B. bei Abfindungsverhandlungen einen neuen Trumpf in der Hand haben. Ganz besonders hoch dürfte die Freude bei KMU sein und auch schön, wenn sie als Start-Up alles digital haben, nur nicht den Arbeitsvertrag nebst Anlagen. Der am 6.4.2022 im Kabinett verabschiedete Regierungsentwurf hält an der Schriftform mit Nibelungentreue fest.
Das Nachweisgesetz und die bAV
Was hat das nun mit der bAV zu tun? Hier einige Anregungen zum Nachdenken:
- Zu den wesentlichen Vertragsbedingungen des Arbeitsverhältnisses gehört weiterhin auch die Betriebsrente (§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 NachweisG a.F.).
- Zukünftig umfasst die Nachweispflicht wie bisher andere Bestandteile des Arbeitsentgelts (z. B. die Betriebsrente), die nun jeweils getrennt anzugeben sind, und deren Fälligkeit sowie die Art der Auszahlung (§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 NachweisG-E). Heißt das, dass künftig bei Betriebsrenten, z. B. arbeitnehmerfinanzierte und arbeitgeberfinanzierte Bestandteile getrennt anzugeben sind, und die jeweiligen Fälligkeiten (inklusive Wahlrechten) und Auszahlungsoptionen extensiv schriftlich anzugeben sind? Der Gesetzgeber hat hier ausweislich der Gesetzesbegründung eher nicht an die bAV gedacht, sondern an Vergütungen, bei denen beispielsweise angegeben werden soll, ob eine Barauszahlung oder eine Überweisung geplant ist. Die Formulierung lässt allerdings durchaus an die Frage Kapitalzahlung oder Rente in der bAV denken. Jedenfalls sind diese Informationen spätestens am ersten Tag des Arbeitsverhältnisses als Niederschrift auszuhändigen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 NachweisG-E).
- Ganz neu ist, dass der Arbeitgeber, der dem Arbeitnehmer eine Betriebsrente über einen Versorgungsträger zusagt, Name und Anschrift des Versorgungsträgers aufführen muss (§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 13 NachweisG-E) – außer der Versorgungsträger ist, wie im Falle von Direktversicherungen, Pensionskassen, Pensionsfonds zu dieser Information verpflichtet (§§ 234 k ff VAG). Mit anderen Worten: Bei der Versorgung über eine Unterstützungskasse greift diese neue Nachweispflicht. Diese Information ist als Niederschrift spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses auszuhändigen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 NachweisG-E).
- Keine Regel ohne Ausnahme: Erleichterung gibt es für Arbeitgeber mit Betriebsrat oder Tarifverträgen – also im Wesentlichen nicht für KMU! Ist nämlich die bAV in Tarifverträgen, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen geregelt, dann können die erweiterten Informationspflichten nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 und 13 NachweisG auch durch einen Hinweis auf diese Regelungen ersetzt werden (neuer Absatz 4 des § 2 NachweisG-E).
- Ändert sich etwas an den wesentlichen Vertragsbedingungen, in der bAV könnte man sich z. B. vorstellen, wenn ein neuer Anbieter für die Entgeltumwandlung ausgewählt wird oder wenn der Arbeitnehmer seine Entgeltumwandlungsvereinbarung ändert oder wenn eine sonstige Änderung in der bAV in Kraft tritt, dann muss das allen Beschäftigten spätestens am Tag, an dem sie wirksam wird, schriftlich mitgeteilt werden. Wird also eine neue Versorgungsordnung in Form der häufig anzutreffenden Gesamtzusage ausgearbeitet, dann genügt nicht mehr die Veröffentlichung, sondern die neue Versorgungsordnung muss überdies noch allen Beschäftigten schriftlich (!) mitgeteilt (!) werden. Und auch hier die Ausnahme, die für die meisten KMU nicht relevant ist: das gilt nicht für Tarifverträgen, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen (§ 3 NachweisG-E).
Und jetzt drohen auch noch Bußgelder
- Und on-top jetzt die Verschärfung, dass das ein Verstoß gegen die detaillierten Vorschriften des neuen Nachweisgesetzes nun eine Ordnungswidrigkeit darstellt, die mit einem Bußgeld i.H.v. bis zu 2000 Euro bewehrt ist (§ 4 NachweisG-E). Und 2000 Euro sind gerade für KMU kein Pappenstiel. Bekanntlich kann eine Ordnungswidrigkeit von jedermann angezeigt werden. Damit ist es ratsam die Aushändigung des kleinen Papierbergs auch immer schriftlich zu dokumentieren.
- Und was ist mit bestehenden Arbeitsverhältnissen? Ab dem 1.8.2022 können Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt bestand, verlangen, dass die neuen Angaben nachgeliefert werden – da freut sich doch jede Personalabteilung (§ 5 NachweisG-E). Die Frist beträgt je nach Information 7 Tage bis spätestens einen Monat nach Zugang der Anfrage des Beschäftigten.
Übrigens:
Die – wie immer, wenn die EU tätig wird – umfangreiche Erweiterung vieler Nachweispflichten wird auch dazu führen, dass alle Standard Arbeitsverträge überarbeitet werden müssen. Das freut dann die Zunft der Rechtsanwälte.
Die Auswirkung auf die Digitalisierung der bAV und den auszuhändigenden Informationen zur bAV wird man jetzt in der Praxis genau anschauen müssen. Können z. B. Versorgungsordnungen, die dem Arbeitsvertrag beigefügt werden, und die alle nötigen Informationen enthalten, weiterhelfen? Müssen Entgeltumwandlungsvereinbarung und deren Änderung künftig immer schriftlich dokumentiert werden? Eins ist jedoch klar: Die Novellierung des Nachweisgesetzes ist unerfreulich für KMU, unerfreulich für die Digitalisierung und unerfreulich für die betriebliche Altersversorgung.