Inflation, Garantien, Risiko … wie immer diskutierten auf der diesjährigen DAV-Jahrestagung die Aktuarinnen und Aktuare die Themen Ihrer Zunft. Die Tagung fand an ihrem Tradtionstermin Ende April erstmalig in hybridem Format statt – mit großem Vor-Ort-Programm in Bonn, das an allen drei Kongresstagen live gestreamt wurde.
Für bAVheute dokumentiert Andreas Mock die wichtigsten Aussagen der Fachgruppe „PENSION“ am dritten Tag der Veranstaltung. Aufgrund der Informationsdichte stellt dieser Beitrag den ersten Teil der zweiteiligen Berichterstattung dar.
Wohin steuert die Altersvorsorge
Los ging es mit einer Podiumsdiskussion zu den Plänen der neuen Bundesregierung, die Altersvorsorge in Deutschland zu reformieren. Über die verschiedenen Konzepte sprachen: Susanna Adelhardt (Head of Benefits bei Evonik Industries), Katharina Batz (Vizepräsidentin des Sozialverbands VdK), Pascal Kober (Sozialpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion) und der IVS-Vorstandsvorsitzende Friedemann Lucius sowie Dorothea Mohn, Leiterin Team Finanzmarkt beim Verbraucherzentrale Bundesverband. Die wichtigsten Argumente der Teilnehmenden waren:
Susanna Adelhardt:
bAV wird in jedem Einstellungsgespräch von potentiellen Bewerbern nachgefragt. bAV ist wichtiges Benefit. Aber die Rahmenbedingungen müssen stimmen, damit die Leistungen auch bei den Mitarbeitenden ankommen. Wert der bAV darzustellen ist eine kommunikative Herausforderung, insbesondere bei jungen Mitarbeitenden. Sozialpartnermodell kann zu einem Wechsel hinsichtlich der Garantiefixierung führen, Angst der Arbeitnehmervertreter Verantwortung für sinkende Renten zu übernehmen.
Katharina Batz:
Soziale Aspekte der bAV sind besonders wichtig. Weniger als 60 % der Arbeitgeber bieten eine bAV an. Um bAV zu stärken, muss gesetzliche Rentenversicherung gesichert sein. Steueranteil zur Finanzierung der GRV muss erhöht werden.
Friedemann Lucius:
bAV muss finanzierbar bleiben. Dafür müssen die anerkannten Grundprinzipien der Versicherungsmathematik eingehalten werden. Das heißt Finanzierungs- und Leistungsseite im Gleichgewicht halten. Es gibt bei der GRV keine Unbekannten. Aber wenig Stellschrauben, an denen noch gedreht werden kann. Aktienrente löst Probleme in 30 oder 40 Jahren, aber nicht die unmittelbar anstehenden Probleme. Regulatorik zwingt Kapitalanlage, dass Verpflichtungen zu jedem Zeitpunkt gedeckt sind. Steht im Widerspruch zu den langfristigen Mechanismen des Kapitalmarkts.
Dorothea Mohn:
Aufwand für bAV lässt sich nicht wegdefinieren. GRV muss stabilisiert werden. Teil des Langlebigkeitsrisikos lässt sich zwar auf den Kapitalmarkt auslagern, aber Kosten müssen im Rahmen bleiben. Insbesondere Garantie-, Verwaltungs- und Vertriebskosten. Obligatorium in Verbindung mit schlechten Produkten wäre gesellschaftlich nicht tragbar. Verbraucher, die keine Sparfähigkeit haben, können ausschließlich über GRV abgesichert werden. Zeit für Reformen der Altersvorsorge drängt, aber Aussagen im Koalitionsvertrag sind nicht hinreichend konkret formuliert.
Pascal Kober:
Kompromiss im Koalitionsvertrag gefunden. Als FDP größeren Wurf der Aktienrente gewünscht. 10 Milliarden Euro sind nur der Einstieg. Aber noch nicht im Bundeshaushalt fixiert. Abschließendes Volumen ist noch nicht definiert. Kapitalstock könnte langfristig von den gesetzlich Rentenversicherten finanziert werden. Gibt Koalitionsvertrag allerdings nicht her. Könnte nur über neue Mehrheiten in der nächsten Legislaturperiode umgesetzt werden. Zur konkreten Ausgestaltung der Aktienrente wird aktuell zwischen Finanz- und Arbeitsministerium eine Lösung erarbeitet. Unabhängiger Fonds, der nicht von der Rentenversicherung verwaltet wird. Weitere Details werden noch nicht kommuniziert. Kommt spätestens Anfang 2023. Lösungsvorschläge für weitere Reformen der geförderten Altersvorsorge sind bei den drei Koalitionspartnern höchst unterschiedlich. Erste Ergebnisse sind hier in 2022 nicht mehr zu erwarten.
Sicherheit und Garantie ist nicht dasselbe
Garantieprodukte spielen in Deutschland insbesondere in der bAV eine wichtige Rolle. Alexander Kling und Jochen Ruß, beide vom ifa in Ulm, erläuterten in ihrem Vortrag die Auswirkungen von Inflation auf Chancen und Risiken langfristiger Sparprozesse mit Garantien.
Gemeinhin bekannt ist in diesem Zusammenhang, dass eine Reduktion der Garantie stets das Renditepotenzial erhöht und dass dieser Effekt bei niedrigen Zinsen besonders stark ausgeprägt ist. Auch wird üblicherweise angenommen, dass geringe Garantien stets weniger Sicherheit bieten als hohe Garantien. Diese Betrachtung lässt aber außer Acht, dass für Verbraucher die Chancen und Risiken in Bezug auf die Kaufkraft der Leistung – also reale bzw. inflationsbereinigte Chancen und Risiken – relevant sind.
Eine zentrale Erkenntnis der vom ifa durchgeführten Studie ist, dass im aktuellen Zinsumfeld der „Preis“ einer Garantie (also die Reduktion der Chance) real ähnlich hoch ist wie nominal. Der „Nutzen“ der Garantie (also die resultierende Risikoreduktion) fällt hingegen real deutlich geringer aus als nominal. Eine ausschließlich nominale Betrachtung liefert also kein vollständiges Bild der Wirkungsweise von Garantien auf das Risiko. Insbesondere können im aktuellen Zinsumfeld Produkte mit abgesenkter Garantie auch für sicherheitsorientierte Verbraucher bedarfsgerecht sein. „Kipppunkt“ bei hoher Volatilität ist ein Garantieniveau von ca. 70 % der gezahlten Beiträge, wobei der konkrete Wert von den getroffenen Annahmen abhängt. Bei einer über den Kipppunkt hinausgehenden Absenkung der Garantie steigt das Risiko ähnlich stark oder sogar stärker als die Chance.
In einer weiteren Studie konnte gezeigt werden, dass das Chance-Risiko-Profil einer BOLZ mit reduzierter Garantie im aktuellen Umfeld auch unter Einbeziehung der Rentenbezugsphase attraktiver ist als das Chance-Risiko-Profil einer BZML mit 100 % Beitragsgarantie und einer im Vergleich mit der BOLZ ggfs. höheren Anfangsrente.
Raus aus der Komfortzone
Tobias Bockholt, Geschäftsführer Willis Towers Watson Investments GmbH, stellte die Auswirkungen des Zinsumfelds auf das Risikoprofil von Planvermögen vor. Die weiterhin konservative Ausrichtung der Portfolien wird in Zukunft die Bedienung der Verpflichtungen deutlich erschweren, weswegen bei den Verantwortlichen ein Umdenken hinsichtlich Risikoprofil und Ausrichtung der Kapitalanlage stattfinden muss. Vor diesem Hintergrund ist die verstärkte Allokation in alternative und illiquide Strategien dringend erforderlich, was zu einem höheren Risikoprofil in den Planvermögen führt. Sollte sich der Zinsanstieg so massiv fortsetzen, wird dies schmerzliche Auswirkungen auf die Marktwerte der Planvermögen haben und somit auf die Höhe der Bedeckungsquoten. Für mehr Ertragskraft im Planvermögen sowie geringer Volatilität sind höhere Portfolioquoten in alternativen / illiquiden Anlagen unerlässlich, um auch in Zukunft alle Pensionsverpflichtungen adäquat bedienen zu können.
Mit diesem Vortrag endete der Vormittag und damit auch der erste Teil der zweiteiligen Berichterstattung zur diesjährigen DAV-Jahrestagung.