Bisher galt: Mehrarbeit eines Minijobbers besser in eine Anwartschaft auf bAV investieren, um bloß nicht in die Gleitzone bzw. den Übergangsbereich zu kommen. Doch seitdem 1.10.2022 gibt es neue Regeln für Mini- und Midijobber. Wie sich eine Mehrarbeitsvergütung auf Nettogehalt, Abgabenlast und bAV-Modelle auswirkt.
Was hat sich bei den Rahmenbedingungen von Minijobs zum 1.10.2022 geändert?
Der gesetzliche Mindestlohn wurde per 1.10.2022 auf 12 Euro pro Arbeitsstunde angehoben. Diese Anhebung führt auch zu einer Erhöhung der monatlichen Verdienstgrenze für Minijobber (sogenannte Geringfügigkeitsgrenze) von bisher 450 Euro auf neuerdings 520 Euro. Auch der sog. Übergangsbereich für Midijobber wurde um 300 Euro erhöht und liegt nun zwischen 520,01 Euro und 1.600 Euro.
Deutliche Abmilderung der Abgabenlast
Zur Entlastung der Arbeitnehmer, die sich im unteren Teil des Übergangsbereichs befinden, hat der Gesetzgeber zusätzlich eine deutliche Milderung im Bereich der Sozialabgaben der Arbeitnehmer vorgesehen. Den betroffenen Beschäftigten bleibt künftig mehr Netto vom Brutto. Die Abgabenlast des Arbeitnehmers beginnt an der Geringfügigkeitsgrenze mit 0 % und steigt linear auf den regulären Beitragssatz in Höhe von rund 20 % bei einem Einkommen von 1.600 Euro.
Diese Entlastung wird durch höhere Abgaben der Arbeitgeber kompensiert. Für Arbeitgeber liegen die Abgaben an der Geringfügigkeitsgrenze bei 28 % und sinken gleitend bis zur Obergrenze von 1.600 Euro auf den regulären Beitragssatz von 20 %.
Die bis 30.9.2022 höheren Abgaben für Arbeitnehmer hatten in der Praxis dazu geführt, dass für Minijobber ein geringfügiges Überschreiten der bisherigen Minijob-Grenze (z. B. durch Mehrarbeit) aus wirtschaftlicher Sicht wenig attraktiv war.
Nachfolgend zur Verdeutlichung vergleichende Zahlenbeispiele
Beispiel 1: Rechtsstand bis 30.9.2022 mit 100 Euro Mehrarbeitsvergütung
Arbeitszeit | 45 h | 55 h | 55 h |
Gehalt | 450 € | 550 € | 550 € |
./. Entgeltumwandlung bAV | — | 100 € | — |
SV-pflichtiges Gehalt | 450 € | 450 € | 550 € |
./. Abgaben Arbeitgeber | 140,77 € | 140,77 € | 110,36 € |
Betriebsausgabe Arbeitgeber | 590,77 € | 690,77 € | 660,36 € |
Lohnkosten pro Stunde (h) | 13,13 € | 12,56 € | 12,01 € |
SV-Beiträge Arbeitnehmer | 16,20 € | 16,20 € | 71,92 € |
Nettogehalt Arbeitnehmer | 433,80 € | 433,80 € | 478,08 € |
Bei Auszahlung der Mehrvergütung über den Lohn bleiben dem Arbeitnehmer von 100 Euro brutto lediglich 44,28 Euro netto. Dies entspricht einem „Reibungsverlust“ in Höhe von 55,72 %.
Beispiel 2: Rechtsstand ab 1.10.2022 mit 100 Euro Mehrarbeitsvergütung
Arbeitszeit | 43,3 h | 51,7 h | 51,7 h |
Gehalt | 520 € | 620 € | 620 € |
./. Entgeltumwandlung bAV | — | 100 € | — |
SV-pflichtiges Gehalt | 520 € | 520 € | 620 € |
./. Abgaben Arbeitgeber | 162,66 € | 162,66 € | 161,71 € |
Betriebsausgabe Arbeitgeber | 682,66 € | 782,66 € | 781,71 € |
Lohnkosten pro Stunde (h) | 15,77 € | 15,14 € | 15,12 € |
SV-Beiträge Arbeitnehmer | 18,72 € | 18,72 € | 31,27 € |
Nettogehalt Arbeitnehmer | 501,28 € | 501,28 € | 588,73 € |
Bei Auszahlung der Mehrvergütung über den Lohn bleiben dem Arbeitnehmer von 100 Euro brutto künftig 87,45 Euro netto. Dies entspricht einem „Reibungsverlust“ in Höhe von 12,55 %.
Beispiel 3: Rechtsstand ab 1.10.2022 mit 200 Euro Mehrarbeitsvergütung
Arbeitszeit | 43,3 h | 60 h | 60 h |
Gehalt | 520 € | 720 € | 720 € |
./. Entgeltumwandlung bAV | — | 200 € | — |
SV-pflichtiges Gehalt | 520 € | 520 € | 720 € |
./. Abgaben Arbeitgeber | 162,66 € | 162,66 € | 177,82 € |
Betriebsausgabe Arbeitgeber | 682,66 € | 882,66 € | 897,82 € |
Lohnkosten pro Stunde (h) | 15,77 € | 14,71 € | 14,96 € |
SV-Beiträge Arbeitnehmer | 18,72 € | 18,72 € | 61,28 € |
Nettogehalt Arbeitnehmer | 501,28 € | 501,28 € | 658,72 € |
Bei Auszahlung der Mehrvergütung über den Lohn bleiben dem Arbeitnehmer von 200 Euro brutto künftig 157,44 Euro netto. Dies entspricht einem „Reibungsverlust“ in Höhe von 21,28 %.
Übersicht der Berechnungsbeispiele
Beispiele | Sozialversicherungsbeitrag AN (gesamt) bei Auszahlung | „Reibungsverlust“ bei Auszahlung |
Beispiel 1 Mehrvergütung 100 € Rechtsstand alt | 71,92 € | 55,72 % |
Beispiel 2 Mehrvergütung 100 € Rechtsstand neu | 31,27 € | 12,55 % |
Beispiel 3 Mehrvergütung 100 € Rechtsstand neu | 61,28 € | 21,28 % |
Die Übersicht in Grafik 4 verdeutlicht die Entlastung für Arbeitnehmer durch die geltende Neuregelung sowie den linearen Anstieg der Arbeitnehmerbeiträge mit zunehmenden Einkommen innerhalb des Übergangsbereichs.
Auswirkungen auf das bAV-Modell der Minijob-Rente
Bis 30.9.2022 war ein Überschreiten der Minijob-Verdienstgrenze durch „geringe“ Mehrarbeit aus wirtschaftlicher Sicht unattraktiv. Abhilfe konnte – innerhalb der alten Gesetzeslage – das Modell der Minijob-Rente schaffen. Hier vereinbarten Arbeitgeber und Arbeitnehmer Mehrarbeit, die zu einem erhöhten Lohnanspruch von z. B. 100 Euro führte. Zeitgleich vereinbarten beide Parteien die steuer- und insbesondere sozialversicherungsfreie Umwandlung (bis 4 % der BBG GRV WEST) von Arbeitsentgelt zugunsten einer bAV. Entscheidend für den gewünschten Minijob-Status ist das sozialversicherungspflichtige Entgelt, das im Ergebnis weiterhin im Minijob-Bereich lag (siehe hierzu Grafik 1 Berechnung inkl. Entgeltumwandlung bAV). So profitierte der Arbeitgeber von der erhöhten Arbeitskraft des Minijobbers. Der Minijobber konnte seinen Status beibehalten und seine Mehrarbeitsvergütung ohne Abzüge für eine bAV zur Verbesserung seiner Versorgung im Rentenbezug nutzen.
Angemerkt sei, dass dieser Ansatz in den versicherungsförmigen Durchführungswegen nur in einem ersten Dienstverhältnis möglich war.
Die Neuregelung in Form deutlich abgesenkter Arbeitnehmerabgaben führt im Ergebnis dazu, dass ein Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze hinein in den sog. Übergangsbereich nicht länger unattraktiv bleibt. Dies entzieht dem Modell der Minijob-Rente in der Regel die Grundlage, da eine Umwandlung des Mehrgehaltes, welches sich im besagten unteren Teil des Übergangsbereichs befindet, zugunsten der bAV nur mit einer geringen Sozialversicherungsförderung einhergehen würde. In Kombination mit der im Leistungsbezug vorliegenden Verbeitragung der sog. Versorgungsbezüge mit dem vollen allgemeinen Beitragssatz der KV und PflV würde eine Empfehlung pro Entgeltumwandlung regelmäßig keinen Sinn machen.
Chancen für Arbeitgeber
Für Arbeitgeber liegt seit 1.10.2022 eine neue grundlegende Flexibilität in der Personalpolitik vor. Diese gewonnene Flexibilität ist vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und des hohen Mangels an Fachkräften und Arbeitnehmern sehr zu begrüßen. Denn der Arbeitskräfte-Bedarf kann künftig auch mit Bestands-Mitarbeitern aus den eigenen Reihen kompensiert werden. Hierfür benötigt es lediglich einer einvernehmlichen Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Auch die teilweise erhöhten Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung entkräften diesen Vorteil nicht, da der Arbeitgeber dies bereits aus dem Lohnbereich der Minijobber kennt und alternativ ist eine Neueinstellung regelmäßig mit höheren Aufwänden verbunden.
Chancen für Arbeitnehmer
Arbeitnehmer profitieren nun von einer Flexibilisierung ihrer grundlegenden Arbeitszeitmöglichkeiten. Denn die bisherige harte „Schranke“ hinein in die wirtschaftliche Unattraktivität des Übergangsbereichs liegt für Minijobber nicht mehr vor. Das heißt: Mehrarbeit lohnt auch wirtschaftlich! Gerade in Zeiten hoher Geldentwertung ein wichtiger Schritt. Zudem darf auch der positive Erwerb von Anwartschaften in der Sozialversicherung nicht unbeachtet bleiben.
Fazit:
Es ist sehr zu begrüßen, dass der Gesetzgeber dringend notwendige Entlastungen im einkommensschwachen Lohnsegment der Midijobber realisiert hat. Zudem haben Arbeitnehmer und Arbeitgeber neue Freiheiten gewonnen, welche im Falle eines Einvernehmens, beiden Parteien wichtige Vorteile bieten. In der Beratung von Arbeitgebern sind diese Neuerungen künftig hilfreiche Hinweise im Bereich des Personalmanagements.
Aber auch die Komplexität der Beratung nimmt zu. Im unteren Übergangsbereich ist eine Entgeltumwandlung nicht empfehlenswert. Mit zunehmendem Gehalt und zunehmenden Arbeitnehmerbeiträgen in der Sozialversicherung steigt die Attraktivität aber wieder. In der Beratungspraxis darf zudem der steuerliche Aspekt nicht unbeachtet bleiben. So kann eine Entgeltumwandlung in Einzelfällen (z.B. bei Vorliegen der Steuerklasse V oder aber auch bei steuerlich zusammenveranlagten Ehegatten) durchaus noch rentabel sein. Des Weiteren darf die Wechselwirkung zwischen Entgeltumwandlung und dem Anspruch auf Grundrente nicht vergessen werden.
Dass die Entgeltumwandlung künftig weniger attraktiv für Arbeitnehmer im Übergangsbereich ist, darf nicht dazu führen, dass der regelmäßig hohe Bedarf an zusätzlicher Altersversorgung vergessen wird. In der Praxis bieten sich weiterhin arbeitgeberfinanzierte bAV-Modelle oder mischfinanzierte bAV-Modelle mit hohen Arbeitgeberzuschüssen an. Auch eine private Rentenversicherung der 3. Schicht kann zum Aufbau einer zusätzlichen Altersversorgung herangezogen werden.