Warum entscheiden sich viele Kunden gegen eine lebenslange Rentenzahlung und wählen die Kapitalauszahlung? Oft sind Fehleinschätzungen und falsches Schubladendenken der Grund.
Was in aller Munde ist, muss noch lange nicht in allen Köpfen angekommen sein.
Lange galt folgende Regel: Die gesetzliche Rente sichert den Alltag. Was zusätzlich angespart wird, kann für „Luxus“, also für Wünsche, Familie und Freizeit, ausgegeben werden.
Die gesetzliche Rente wird für einen Großteil der heute Erwerbstätigen aber nicht mehr ausreichen, um den erreichten Lebensstandard zu halten. In vielen Fällen reicht sie nicht mal zum Überleben, so dass immer mehr Rentner auf die Grundsicherung angewiesen sind. Tendenz steigend.
Aufgrund dieser Erkenntnis untersuchten Prof. Dr. Jochen Ruß und Stefan Schelling vom Institut für Finanz- und Aktuarswissenschaften (ifa), warum sich die Menschen bei Ablauf einer Rentenversicherung lieber das angesparte Kapital einmalig auszahlen lassen, statt es zu verrenten. Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag des GDV entscheiden sich rund zwei Drittel gegen eine Verrentung. „Private Altersvorsorge wird in Zukunft von vielen nicht mehr für die Finanzierung von Extras, sondern zur Sicherung des gewünschten Lebensstandards im Alter benötigt“, sagte Studienautor Jochen Ruß. „Da man einerseits den gewünschten Lebensstandard bis zum Tod erhalten will und andererseits nicht vorhersagen kann, wie alt man wird, besteht ohne eine lebenslange Rente ein Risiko, länger zu leben, als das Geld reicht.“
Typische Fehlschätzung bei der eigenen Lebenserwartung
Obwohl die meisten Menschen wissen, dass sie zusätzlich zur gesetzlichen Rente ein weiteres Einkommen brauchen, entscheiden sie sich mit einer einmaligen Kapitalauszahlung bewusst gegen eine lebenslange Rente. Ruß und Schellig arbeiten in ihrer Studie „Bedarfsgerecht, aber unbeliebt. Nutzen und Akzeptanz der lebenslangen Rente“ typische Fehleinschätzungen als Ursache heraus. Menschen sind besonders anfällig für Fehleinschätzungen bei Entscheidungen, die man nur einmal im Leben treffen muss, und bei komplexen Sachverhalten. Beides treffe auf die Frage der Verrentung zu.
So betrachten es viele Menschen als wertvoller, etwas jetzt sofort zu besitzen, als etwas später zu besitzen. Deshalb soll das Geld lieber vollständig sofort auf das Konto. Als „Ankereffekt“ bezeichnen die Forscher, wenn eine Zahl im Hinterkopf die Einschätzung beeinflusst. Das trifft häufig bei der Einschätzung der eigenen Lebenserwartung zu, die man ähnlich einschätzt wie die Lebenserwartung etwa der Eltern. Und die kann sich massiv unterscheiden.
1950 | 2018 | 2050 | |
65-jähriger Mann: Lebenserwartung | 77,7 Jahre | 84,6 Jahre | 88,5 Jahre |
65-jähriger Mann: Chance, 95 zu werden | 0,9 % | 12,5 % | 26,7 % |
65-jährige Frau: Lebenserwartung | 79,4 Jahre | 87,9 Jahre | 91,1 Jahre |
65-jährige Frau: Chance, 95 zu werden | 1,7 % | 22,2 % | 38,0 % |
Quelle: Jochen Ruß, Stefan Schelling: „Bedarfsgerecht, aber unbeliebt. Nutzen und Akzeptanz der lebenslangen Rente“,
Institut für Finanz- und Aktuarswissenschaften. Juli 2018
Verhaltensmuster „mentale Buchführung“
Der Mensch denkt in Schubladen und Kategorien. Die Altersvorsorge liegt bei vielen Menschen in der mentalen Schublade „Investment“, nicht „Versicherung“. Dadurch wird die Rentenversicherung nach falschen Kriterien bewertet. Nämlich oft nach Renditeaspekten, statt nach der Absicherung eines Risikos. Bei Altersvorsorge, ob betrieblich oder privat, steht die Absicherung des Langlebigkeitsrisikos im Mittelpunkt. Das finanzielle Risiko, länger zu leben als das Geld reicht, wird dadurch vermieden.
Hier sind kompetente Berater gefragt: Die Kombination aus sachgerechter Erläuterung der Rentenversicherung und Aufklärung über eine realistische Lebenserwartung kann die Akzeptanz der Verrentung erhöhen. Die Studienherausgeber betonen, wie wichtig es ist, die Verrentung vorrangig als Absicherung von Konsum und Lebensstandard, und nicht als Investment zu präsentieren.
Die Verbreitung der Verrentung von angespartem Kapital ist aus wissenschaftlicher und politischer Sicht das erstrebenswerte Ziel, um Altersarmut zu bekämpfen und zu vermeiden.
Auch die Versicherungsanbieter sind gefragt: Eine geeignete und kundenfreundliche Produktgestaltung mit attraktiver Rente kann die Akzeptanz erhöhen.