Das Arbeitsrecht der betrieblichen Altersversorgung ist normiert im Betriebsrentengesetz. Doch das allein reicht nicht. Hinzu kommt eine Fülle von höchstrichterlichen Entscheidungen (sogenanntes „case law“). Hier liegen die eigentlichen Risiken der betrieblichen Altersversorgung, wenn sich nach Jahren oder Jahrzehnten nach Einrichtung einer Zusage herausstellt, dass der Arbeitgeber mehr schuldet als er plante.
Nun hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 18.2.2020, 3 AZR 206/18, Pressemitteilung) über den möglichen Schadensersatz eines Arbeitgebers wegen der Verletzung von Hinweis- und Informationspflichten zu entscheiden.
Der im Jahr 2014 in den Ruhestand getretene Kläger (Betriebsrentner) war bei dem beklagten Arbeitgeber beschäftigt. Vor dem Hintergrund des zu Beginn des Jahres 2003 in Kraft getretenen Tarifvertrags zur Entgeltumwandlung für Arbeitnehmer/-innen im kommunalen öffentlichen Dienst (TV-EUmw/VKA) schloss die Beklagte mit einer Pensionskasse einen Rahmenvertrag zur betrieblichen Altersversorgung. Im April 2003 nahm der Kläger an einer Betriebsversammlung teil, auf der ein Fachberater der örtlichen Sparkasse die Arbeitnehmer der Beklagten über Chancen und Möglichkeiten der Entgeltumwandlung als Vorsorge über die Pensionskasse informierte. Der Kläger schloss im September 2003 eine Entgeltumwandlungsvereinbarung mit Kapitalwahlrecht ab. Anfang 2015 ließ er sich seine Pensionskassenrente als Einmalkapitalbetrag auszahlen. Für diesen muss der Betriebsrentner aufgrund einer Gesetzesänderung im Jahr 2003 Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung entrichten.
Die für die Beitragspflicht maßgeblichen Rechtsgrundlagen traten am 1. Januar 2004 durch Art. 1 Nr. 143 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz) vom 14. November 2003 in Kraft. Auf Initiative der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen hatte sich der Deutsche Bundestag bereits seit Frühjahr 2003 mit einem entsprechenden Gesetzesentwurf befasst. Der Gesetzesentwurf war durch den Deutschen Bundestag am 9. September 2003 in erster Lesung beraten worden.
Mit seiner Klage begehrte der Betriebsrentner im Wege des Schadensersatzes die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge von seinem Arbeitgeber. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe ihn vor Abschluss der Entgeltumwandlungsvereinbarung über das laufende Gesetzgebungsverfahren zur Einführung einer Beitragspflicht auch für Einmalkapitalleistungen informieren müssen. In diesem Fall hätte er eine andere Form der Altersvorsorge gewählt. Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht Hamm hatte der Klage stattgegeben mit dem Hinweis, dass der eingeschaltete Spezialist der Sparkasse als Erfüllungsgehilfe des Arbeitgebers einzuordnen sei. Der Arbeitgeber legte Revision ein.
Vor dem Bundesarbeitsgericht hatte die Revision des Arbeitgebers Erfolg. Zunächst gaben die obersten Richter die „großen Linien“ vor:
Der Arbeitgeber hat zwar keine allgemeine Pflicht, die Vermögensinteressen des Arbeitnehmers wahrzunehmen. Erteilt er jedoch Auskünfte, ohne hierzu verpflichtet zu sein, müssen diese richtig, eindeutig und vollständig sein. Andernfalls haftet der Arbeitgeber für Schäden, die der Arbeitnehmer aufgrund der fehlerhaften Auskunft erleidet.
Doch wie steht es mit Hinweispflichten zu laufenden Gesetzesvorhaben und möglichen Gesetzesänderungen?
Es kann aus Sicht des 3. Senats offenbleiben, ob den Arbeitgeber nach – überobligatorisch – erteilten richtigen Informationen über betriebliche Altersversorgung im Wege der Entgeltumwandlung überhaupt weitere Hinweispflichten auf bis zum Abschluss einer Entgeltumwandlungsvereinbarung erfolgende Gesetzesänderungen oder entsprechende Gesetzesvorhaben, die zulasten der Arbeitnehmer gehen, treffen. Jedenfalls setzte eine solche Verpflichtung voraus, dass der Arbeitnehmer konkret über diejenigen Sachverhalte informiert worden ist, die durch die (geplante) Gesetzesänderung zu seinen Lasten geändert wurden. Dies traf im vorliegenden Verfahren nicht zu. Auf der Betriebsversammlung ist über Beitragspflichten zur Sozialversicherung nicht unterrichtet worden. Daher konnte auch dahingestellt bleiben, ob der Beklagten das Verhalten des Fachberaters der Sparkasse zuzurechnen ist.
Parteien müssen eigene Interessen wahren
Nach Auffassung des Pensionssenates muss jede Partei – Arbeitgeber und Arbeitnehmer/innen – zunächst einmal selbst ihre Interessen wahren. Der Arbeitgeber hat keine allgemeine Pflicht, die Vermögensinteressen des Arbeitnehmers wahrzunehmen.
Es bleibt bei der Linie des Bundesarbeitsgerichts, dass der Arbeitgeber, wenn er informiert, dies richtig, eindeutig und vollständig sein. Andernfalls haftet der Arbeitgeber für Schäden, die Arbeitnehmer/innen aufgrund der fehlerhaften Auskunft erleidet.
Das Bundesarbeitsgericht unterscheidet zwischen Auskünften, zu denen der Arbeitgeber verpflichtet ist und „überobligatorischen“ Pflichten. Zu was genau der Arbeitgeber verpflichtet ist, wird zumindest in der Pressemitteilung nicht ausbuchstabiert. Wichtige Hinweise zur Entgeltumwandlung enthielt das Urteil des BAG vom 21.1.2014 (3 AZR 807/11):
- Der Arbeitgeber muss nicht von sich aus auf das Recht auf Entgeltumwandlung nach § 1a BetrAVG hinweisen.
- Wenn Arbeitnehmer/innen von ihrem Recht auf Entgeltumwandlung Gebrauch machen möchten und auf ihren Arbeitgeber zugehen, muss dieser mitwirken. Dann können den Arbeitgeber Informationspflichten, z. B. über die von ihm beeinflussbaren Faktoren der Entgeltumwandlung (z. B. über den im Unternehmen bislang gewählten Durchführungsweg, seine Bereitschaft, die Entgeltumwandlung über eine Pensionskasse oder einen Pensionsfonds durchzuführen, über die Identität des konkreten Versorgungsträgers, über die Zusageart und die Versorgungs- oder Versicherungsbedingungen des externen Versorgungsträgers), treffen.
- Darüber hinaus lässt der Pensionssenat weitergehende Informationspflichten offen: „Die erkennbaren Informationsbedürfnisse des Arbeitnehmers einerseits und die Beratungsmöglichkeiten des Arbeitgebers andererseits sind stets zu beachten. Wie groß das Informationsbedürfnis des Arbeitnehmers ist, hängt insbesondere von der Schwierigkeit der Rechtsmaterie sowie dem Ausmaß der drohenden Nachteile und deren Vorhersehbarkeit ab.“
Gesetzlich sind die Auskunftspflichten im § 4a BetrAVG normiert. Danach hat der Arbeitgeber oder der Versorgungsträger hat den Arbeitnehmer/innen auf deren Verlangen u. a. mitzuteilen, ob und wie eine Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung erworben wird. Sowohl der Gesetzgeber wie das Bundesarbeitsgericht gehen also davon aus, dass der Arbeitnehmer zunächst die Initiative ergreift.
Im entschiedenen Fall war zum Streitpunkt der Sozialversicherungspflicht, die das BAG als überobligatorisch einordnet, von Seiten des Arbeitgebers gar nicht informiert worden. Also stellte sich auch nicht die Frage, ob eine vollständige und richtige Information auch einen Hinweis auf das laufende Gesetzesverfahren hätte beinhalten müssen.
Häufig wird allerdings bei Beratungen der Arbeitnehmer/innen explizit auf die Steuer- und Sozialversicherungsfreiheit der Entgeltumwandlung (Brutto-Umwandlung) als Vorteil hingewiesen. Dann wird man davon ausgehen müssen, dass vollständigkeitshalber auch auf die negativen Auswirkungen der Sozialversicherungsfreiheit hinzuweisen ist.
Nachdem die Praxis gespannt auf das Urteil gewartet hat, wird man nun ebenso gespannt auf die Urteilsbegründung warten.