Der derzeitige Rechtsstand seit 1.1.2018 ist, dass es für das Vorliegen einer Altzusage genügt, wenn vor dem 1.1.2018 mindestens ein Beitrag pauschal besteuert wurde – und, was vielen nicht bekannt ist, dies aufgrund einer Altzusage erfolgte (BMF-Schreiben vom 12.8.2021, Rz 85; es gilt weiterhin die Abgrenzung Alt- vs. Neuzusage aus dem BMF-Schreiben vom 24.7.2013, Rz 349 ff).
Nun hatte der Bundesfinanzhof (BFH, Urteil vom 1.9.2021, VI R 21/19) zum ersten Mal Gelegenheit, sich zur Frage, wann eine Altzusage vorliegt, zu äußern. Denn Recht und Gesetz legt immer noch verbindlich die Rechtsprechung (und nicht die Finanzverwaltung) aus.
Es ging darum, dass ein Arbeitnehmer (Kläger) seit 1997 viele Jahre lang eine Direktversicherung bei der A-Versicherung hatte (kapitalbildende Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung). Ihm wurde 2013 von seinem Arbeitgeber gekündigt und er erhielt 2014 eine Abfindung. Ein Teil der Abfindung wurde aufgrund der gerichtlichen Vereinbarung zugunsten einer Direktversicherung bei der B-Versicherung eingezahlt und die Vervielfältigerregelung nach § 3 Nr. 63 Satz 4 ESt genutzt.
Bei einer Außenprüfung wurde dies von der Betriebsprüferin beanstandet. Sie vertrat die Auffassung, die Zahlung an die B-Versicherung sei nach der Vervielfältigungsregelung in § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG nicht steuerfrei. Die Anwendung dieser Vorschrift sei nicht möglich, wenn der Arbeitnehmer bei Beiträgen zu einer Direktversicherung auf die Steuerfreiheit der Beiträge zugunsten der weiteren Anwendung des § 40b EStG a. F. verzichtet habe. So verhalte es sich im vorliegenden Fall. Denn die Beiträge an die A-Versicherung (Altvertrag) seien unter Verzicht auf die Steuerfreiheit nach § 40b EStG a. F. pauschal versteuert worden. Die Entgeltumwandlung habe daher nur in der sehr limitierten Höhe gemäß § 3 Nr. 63 Satz 1 EStG steuerfrei vorgenommen werden können. Die Einkünfte des Arbeitnehmers aus nichtselbständiger Arbeit seien dementsprechend zu erhöhen.
Dagegen klagte der ehemalige Arbeitnehmer. Das Finanzgericht gab der Finanzverwaltung Recht. Der Arbeitnehmer legte Revision ein.
Die obersten Finanzrichter gaben dem Arbeitnehmer Recht. Nach Maßgabe der zum Zeitpunkt maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen hat das Finanzgericht zu Unrecht entschieden, der Kläger könne die Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG nach § 52 Abs. 4 Sätze 10 und 12 sowie Abs. 40 EStG nicht in Anspruch nehmen.
Die Leitsätze des Urteils lauten:
- Der Zeitpunkt, zu dem eine Versorgungszusage erstmalig erteilt wurde, bestimmt sich nach der zu einem Rechtsanspruch führenden arbeitsrechtlichen bzw. betriebsrentenrechtlichen Verpflichtungserklärung des Arbeitgebers (Anschluss an BMF-Schreiben vom 24.7.2013, BStBl I 2013, 1022, Rz 350).
- Hat der Arbeitgeber zugunsten des Arbeitnehmers mehrere Direktversicherungen abgeschlossen, ist die Frage, ob diese auf verschiedenen Versorgungszusagen beruhen, unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu beantworten. Das Fehlen oder Vorliegen eines zusätzlichen biometrischen Risikos kann dabei lediglich als ein Indiz herangezogen werden. Es ist keine gesetzliche Voraussetzung für eine Neuzusage (entgegen BMF-Schreiben vom 24.7.2013, BStBl I 2013, 1022, Rz 355).
Im konkreten Fall geht der Bundesfinanzhof von einer Neuzusage aus:
Denn der Arbeitgeber des Klägers hat sich nach den tatsächlichen, den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen der Vorinstanz erstmals in dem gerichtlich protokollierten Vergleich im April 2014 vor dem LAG verpflichtet, im Rahmen der Entgeltumwandlung eine Versorgung zugunsten des Klägers durch eine Direktversicherung bei der B-Versicherung zuzusagen. Die vorgenannte Verpflichtungserklärung stellt sich auch unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Versorgung nicht als bloße Änderung der seit 1997 bestehenden Versorgungszusage dar.
Dann befassen sich die Richter sehr ausführlich und kritisch mit den Kriterien der Finanzverwaltung (BMF-Schreiben vom 24.7.2013, 349 ff) für das Vorliegen einer Alt- bzw. einer Neuzusage. Nach Auffassung der Richter treffen die Beispielsfälle des BMF-Schreibens nicht auf den vorliegenden Fall zu. Denn im Streitfall basiert die Direktversicherung des Arbeitgebers bei der B-Versicherung nicht auf der ursprünglichen (Alt-)Versorgungszusage gegenüber dem Kläger. Die Direktversicherung bei der B-Versicherung hat ihren Rechtsgrund vielmehr ausschließlich in der im gerichtlichen Vergleich protokollierten (Neu-)Zusage, welche zu der Versorgungszusage, die der Direktversicherung bei der A-Versicherung zu Grunde lag, hinzugetreten ist. Sie beruhte mithin auf einem neuen Verpflichtungsgrund, der mit der bestehenden (Alt-)Versorgungszusage in keinem Zusammenhang stand. Die Versorgungszusage aus dem Vergleich nahm keinerlei (Rück-)Bezug auf die in der Vergangenheit erklärte Versorgungszusage.
Und weiter kritisieren die Richter die Auffassung der Finanzverwaltung: Soweit nach Auffassung der Finanzverwaltung auch dann insgesamt von einer (einheitlichen) Versorgungszusage auszugehen sein soll, wenn neben einem “alten” Direktversicherungsvertrag (Abschluss vor 2005) ein “neuer” Direktversicherungsvertrag (Abschluss nach 2004) eingegangen und die bisher erteilte Versorgungszusage nicht um zusätzliche biometrische Risiken erweitert wird, selbst wenn der “neue” Direktversicherungsvertrag bei einer anderen Versicherungsgesellschaft abgeschlossen wird (BMF-Schreiben vom 24.7.2013, Rz 355), vermag sich der Senat dem jedenfalls für den im Streitfall gegebenen Sachverhalt nicht anzuschließen.
Und zum Einschluss eines neuen biometrischen Risikos als Voraussetzung für das Vorliegen einer Neuzusage führen die Richter folgendes aus: Zwar kann es durchaus Fälle geben, in denen eine neue Direktversicherung auch gegenüber einer anderen Versicherungsgesellschaft zusammen mit einer vor 2005 abgeschlossenen Direktversicherung auf der bisherigen Versorgungszusage (sog. Altzusage) beruht. Das Fehlen eines zusätzlichen biometrischen Risikos bei der neuen Direktversicherung kann insoweit (indiziell) dafür sprechen, dass diese auch aufgrund der Altzusage abgeschlossen worden ist. Es ist andererseits aber nicht gerechtfertigt, das Vorliegen einer Neuzusage zwingend von der Versicherung eines zusätzlichen biometrischen Risikos abhängig zu machen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist die Versicherung eines zusätzlichen biometrischen Risikos jedenfalls keine Voraussetzung einer Neuzusage. Ein solches Erfordernis ergibt sich auch nicht aus der Entstehungsgeschichte, der Systematik oder dem Zweck des Gesetzes. Entscheidend ist vielmehr, zu welchem Zeitpunkt die maßgebliche Versorgungszusage, auf der die jeweilige Direktversicherung beruht, erteilt wurde.
Kriterien für das Vorliegen einer Neuzusage, die der Bundesfinanzhof nennt, sind:
- Das Vorliegen einer selbständigen, neuen Versorgungszusage, die nach dem 31.12.2004 erteilt wurde.
- Die neue Zusage beruht nicht auf vorherigen arbeitsvertraglichen Absprachen oder Wahloptionen des Klägers im Zusammenhang mit der zuvor erteilten Versorgungszusage.
- Es besteht kein sonstiger erkennbarer Zusammenhang zwischen Neu- und Altzusage.
- Die (Neu-) Zusage führt auf Seiten des Arbeitgebers zu einer (zwar einmaligen, dafür aber erheblichen) Beitragserhöhung und begründet gänzlich neue Versorgungsansprüche.
Sind die vorher genannten Kriterien – wie im Streitfall erfüllt -, scheidet trotz des Fehlens eines neuen biometrischen Risikos das Vorliegen einer Altzusage aus.
Zum Argument der Betriebsprüferin führt der Bundesfinanzhof abschließend aus: Der Anwendbarkeit des § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG auf die im Streitfall hiernach vorliegende Neuzusage steht auch der Umstand nicht entgegen, dass der Arbeitgeber zugunsten des Arbeitnehmers bereits zuvor eine Altzusage erteilt und die Beiträge zu dieser Altzusage nach § 40b EStG a. F. pauschal versteuert hatte. Zwar ist § 3 Nr. 63 Satz 3 und Satz 4 EStG gemäß § 52 Abs. 4 Satz 12 EStG nicht anzuwenden, wenn § 40b Abs. 1 und Abs. 2 EStG in der am 31.12.2004 geltenden Fassung angewendet wird. Hinsichtlich der Neuzusage des Arbeitgebers, für die der Kläger die Vervielfältigungsregelung des § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG vorliegend in Anspruch nehmen möchte, scheidet die Weiteranwendung des § 40b EStG a. F. aber von vornherein aus. § 52 Abs. 4 Satz 12 EStG hindert die Anwendung des § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG im Streitfall folglich nicht.
Die Begründung der Vorinstanz ist nicht ausreichend. Da die Sache noch nicht entscheidungsreif ist, muss das Finanzgericht nochmals anderweitig verhandeln und entscheiden.
Das Urteil ist weitreichend. Es zeigt zum einen – wieder einmal -, dass die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung, niedergelegt in BMF-Schreiben nicht immer vor den höchsten Gerichten Bestand haben. Ärgerlich ist, dass die letztliche Klärung einer so wichtigen Frage, die seit 2005 sichtlich schwierig war, letztlich einem einfachen Arbeitnehmer aufgeladen wird. Nicht jeder wird sich eine Klage bis zum höchsten Gericht leisten können. Hier muss der Gesetzgeber und das BMF viel früher für eine gesetzliche Klärung und Rechtsfrieden sorgen.
Im Falle der Abgrenzung Alt- und Neuzusage kann es zu weiteren Auswirkungen kommen. Positiv ist: Die Inanspruchnahme des Aufstockungsbetrags i. H. v. 1800 Euro (2005–2017 möglich), der vor dem 1.1.2018 von einer Neuzusage abhängig war, wird in den Fällen, in denen die oben aufgeführten Kriterien erfüllt waren, schwerer angreifbar. Häufig war schon in den Zusagen ein Passus, dass die Neuzusage unabhängig von der Altzusage erfolgte, vorhanden.
Es gibt allerdings auch Fälle, in denen aufgrund der Regelungen des BMF-Schreibens zur Altzusage immer dann der bei langen Dienstverhältnissen vorteilhafte, alte Vervielfältiger nach § 40b EStG a. F. genutzt wurde, wenn schon einmal ein Beitrag pauschal versteuert wurde. Diese Fälle wird man sich nach den jetzt bekannten Kriterien des BFH neu anschauen müssen, ob hier tatsächlich eine Altzusage vorliegt. Eine Vertrauensschutzregelung des BMF wäre wünschenswert. Denn hier hat man sich erkennbar auf die BMF-Schreiben verlassen.
Insgesamt etabliert der BFH mittlerweile deutlich seine eigene, steuerrechtliche Auffassung von Neu- und Altzusage, bzw. von mehreren eigenständigen Zusagen, die nebeneinander bestehen können. Das wird auch in anderen Urteilen deutlich. Das erhöht natürlich die Komplexität der bAV, wenn Arbeitsrecht und Steuerrecht in bestimmten Konstellationen auseinanderfallen können.