Fallen Ansprüche des Schuldners aus einer Direktversicherung in die Insolvenzmasse? Dies hängt von der jeweiligen Konstellation ab, urteilte der BGH – und stellte eine „Checkliste“ auf.
Direktversicherungen sind in vielen Unternehmen verbreitet. Geraten Arbeitnehmer in die Privatinsolvenz, schauen Insolvenzverwalter genauer hin, ob deren Anwartschaft verwertbar ist. So eine Konstellation lag dem BGH vor. Und die Richter nahmen die Gelegenheit wahr, eine Art „Checkliste“ aufzustellen, wie die unterschiedlichen Konstellationen zu bewerten sind.
Soviel aber schon vorab: Der BGH macht deutlich, dass der Anspruch aus einer Direktversicherung im Fall einer Privatinsolvenz nicht unantastbar ist.
Der Fall (vereinfacht):
- Arbeitgeber schloss zugunsten des Schuldners (Arbeitnehmer) zwei Direktversicherungen ab.
- Schuldner war versicherte Person mit unwiderruflichem Bezugsrecht im Erlebensfall.
- Nach Beendigung seiner Tätigkeit als Handelsvertreter wurde der Schuldner Versicherungsnehmer und stellte die Versicherung beitragsfrei.
- 3.5.2011: Amtsgericht eröffnet das Privatinsolvenzverfahren
- Insolvenzverwalterin verwertete die Direktversicherung zunächst nicht, da aus ihrer Sicht die Verfügungsbeschränkungen nach § 2 Abs. 2 S. 4 BetrAVG griffen.
- Am 30.3.2016 fand der Schlusstermin statt.
- 25.5.2016: Aufhebung des Insolvenzverfahrens.
- 9.9.2016: Gericht ordnet die Nachtragsverteilung der Ansprüche aus der Direktversicherung an.
Durch die Nachtragsverteilung wird sichergestellt, dass Vermögenswerte, die nach dem Schlusstermin frei oder ermittelt werden, in die Insolvenzmasse fallen und an die Gläubiger verteilt werden. Voraussetzung ist aber, dass der Vermögenswert überhaupt in die Insolvenzmasse fällt. Der Schuldner klagte gegen die Anordnung der Nachtragsverteilung, und bekam zunächst vor dem Landgericht Recht.
Der BGH sah das anders. Denn ob der Anspruch aus der Direktversicherung in die Insolvenzmasse fällt, hängt davon ab, ob der Anspruch aus der Direktversicherung dem Schuldner „gehört“.
Ob die Nachtragsverteilung angeordnet werden kann, hängt davon ab, ob der Anspruch des Schuldners in die Insolvenzmasse fällt, was nach § 35 insofern dann der Fall ist, wenn der Anspruch dem Schuldner „gehört“.
„Gehören“ heißt in diesem Zusammenhang „dem Rechte nach zustehen“. Entscheidend ist, dass zum Entstehen der Forderung bereits so viele Erfordernisse erfüllt sind, dass die Vollendung der Forderung nicht mehr von einem willensgesteuerten Verhalten des Schuldners abhängt. Bei einer Direktversicherung kommt es dabei auf die versicherungsvertraglichen Regelungen an. Also auf die Frage, wie das Bezugsrecht ausgestaltet ist. Der BGH nahm das Fall zum Anlass, die dabei möglichen Konstellationen durchzudeklinieren.
Entscheidend für die Frage, ob der Gläubiger auf die zukünftige Leistung aus der Direktversicherung zugreifen kann, ist also die Ausgestaltung der versicherungsrechtlichen Ebene.
Das BetrAVG schützt „nur“ in der Anwartschaftsphase
Die Schutzvorschriften des BetrAVG stehen der Anordnung der Nachtragsverteilung der künftigen Versicherungsleistung nicht entgegen. Hier muss zwischen der Anwartschaftsphase und der Leistungsphase unterschieden werden. In der Anwartschaftsphase gelten die Verfügungsbeschränkungen des § 2 Abs. 2 S. 4 BetrAVG und führen zwar zur Unpfändbarkeit. Dies gilt allerdings nur vor Eintritt des Versicherungsfalls. Der Gesetzeszweck des § 2 Abs. 2 S. 4 BetrAVG schützt das Altersvermögen nur in der Anwartschaftsphase.
Folge: Der Gläubiger kann im Wege der Pfändung auf die mit Eintritt des Versicherungsfalls fälligen Forderungen zugreifen (getrennt zu sehender Anspruch).
In der Leistungsphase gelten die Pfändungsschutzvorschriften (§ 850c ZPO für Rentenleistungen; § 850i ZPO für Kapitalleistungen).
Fazit: Insolvenzverwalter werden zukünftig verstärkt auf die Anordnung der Nachtragsverteilung drängen. Versicherer werden darauf vermehrt mit der Hinterlegung reagieren. Denn zahlt ein Versicherer an den „Falschen“ aus, bewirkt das keine Leistungsbefreiung. D.h. der Versicherer zahlt zweimal.