Ganz praktisch: Einrichtung von „Produktvertriebsvorkehrungen“ im Vermittlerbüro.
In regelmäßigen Abständen bieten Versicherer ihren Geschäftspartnern innovative Produkte, sei es in der betrieblichen Altersversorgung oder im Bereich der Absicherung der Arbeitskraft.
Aktuelles Beispiel: Zum 1. Juli 2019 führte die Stuttgarter Lebensversicherung a.G. die Grundfähigkeitsversicherung „Grundschutz+“ sowie die GrüneRente index-safe ein. Eine interessante Frage in diesem Zusammenhang ist, wie ein vom Versicherer unabhängiger Maklerbetrieb organisiert sein muss, um die versichererseits mit sachgerechten Informationen versehenen Produkte zu erhalten und zu verstehen, um sie beim Kunden rechtlich einwandfrei einzusetzen?
Dem Vertrieb sind nach dem Aufsichtsrecht sämtliche sachgerechte Produktinformationen einschließlich einer Zielmarktbeschreibung vom Versicherer bekannt zu geben. Dies gilt für, seit dem 23.2.2018, neu konzipierte oder wesentlich geänderte Produkte.
Sachgerechte Informationen notwendig
Paragraph 14 Absatz 1 der seit Ende 2018 geltenden Verordnung über die Versicherungsvermittlung und -beratung (VersVermV) verlangt, dass Versicherungsvermittler über „alle sachgerechten Informationen zu dem Versicherungsprodukt und dem Produktfreigabeverfahren einschließlich des bestimmten Zielmarkts des Versicherungsprodukts verfügen“. Damit setzt der deutsche Gesetzgeber Art. 25 der Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD) um und ergänzt gleichzeitig Art. 10 der Delegierten Verordnung zu Aufsichts- und Lenkungsanforderungen für Versicherungsunternehmen und Versicherungsvertreiber vom 21.9.2017. Diese Verordnung, die im Übrigen unmittelbar im deutschen Recht gilt, konkretisiert die IDD-Vorschriften zu den „Vorkehrungen betreffend den Produktvertrieb“ für Versicherungsvermittler. Bekannt sind diese Regelungen auch unter dem Kürzel „POG-Regeln“, POG steht hier für „Product Oversight and Governance“.
Diese Vorkehrungen sollen darauf abzielen, „eine Benachteiligung des Kunden zu verhindern bzw. zu mindern, einen ordnungsgemäßen Umgang mit Interessenkonflikten unterstützen und sicherstellen, dass den Zielen, Interessen und Wünschen des Kunden gebührend Rechnung getragen wird.“ Damit verlagert der Gesetzgeber den Kundenschutz schon auf das Stadium der Produktkonzeption und der Ausgabe der Produkte an den Vertrieb vor.
Welche Vertriebsvorkehrungen müssen Vermittler konkret treffen?
Was bedeutet das konkret für den Vermittlerbetrieb? Jeder Vermittler hat nach der Delegierten Verordnung ein schriftliches Dokument zu erstellen, in dem seine „Spielregeln“ für den Vertrieb von Versicherungen festgelegt werden. Im nachfolgenden sollen die wesentlichen Inhalte des Dokuments vorgestellt werden. Im Einzelfall können noch weitere Aspekte hinzukommen, beispielsweise beim Vertrieb von anderen Finanzanlagen. Die hier gestellten Fragen und Aufgaben sollte der Vermittlerbetrieb für sich geklärt haben.
- Maßnahmen und Verfahren zur Einholung sämtlicher sachgerechter Informationen beim Hersteller des Produkts.
- Zu welchem Zeitpunkt holt der Vermittler in welcher Art und Weise welche Informationen beim Versicherer zu den vertriebenen Produkten ein?
- Werden beispielsweise Roadshows, Schulungs- und Weiterbildungsveranstaltungen des Versicherers besucht?
- Welche Person im Vermittlerunternehmen ist verpflichtet, an Schulungen oder vom Versicherer angebotenen Webinaren zu Produkten teilzunehmen?
- Wer im Vermittlerunternehmen ist zuständig und verantwortlich für die Aktualisierung der eingesetzten Beratungssoftware und wie sind diese Prozesse zur Informationsweitergabe an den „Point of Sale“ intern geregelt?
- Sind die Versicherungsprodukte richtig verstanden um sie an die richtige Kundengruppe zu vertreiben? Gibt es im Vermittlerbetrieb eine interne Qualitätssicherung, bevor die passenden Produkte an den richtigen Kunden vertrieben werden?
- Entspricht die Vertriebsstrategie des Vermittlers der des Herstellers und dem Zielmarkt des Herstellers? Hat der Vermittlerbetrieb eine Prüfroutine eingerichtet, in der die jeweils vom Versicherer vorgesehenen Zielmärkte der Produkte mit der eigenen Vertriebskonzeption abgeglichen werden?
- Gibt es einen Prozess zur Einrichtung und regelmäßigen Prüfung der Einhaltung der Vorgaben aus den „Produktvertriebsvorkehrungen“? Ist sichergestellt, dass die Beschreibungen im Vermittlerbetrieb stets auf dem aktuellen Stand sind? Gibt es einen angemessenen Zeitabstand oder definierte Anlässe zur Überprüfung der internen Spielregeln? Ist die entsprechende Zuständigkeit im Vermittlerbetrieb festgelegt?
- Der Hersteller hat nach der Delegierten Verordnung Anspruch auf die Verkaufsinformationen des Vertreibers. Ist sichergestellt, dass die Informationen des Vermittlers für den Versicherer jederzeit verfügbar sind?
- Stellt der Vermittler fest, dass ein Produkt dem Zielmarkt nicht entspricht oder sogar für den Kunden nachteilig sein könnte, muss er den Hersteller darüber informieren. Ist dieser Prozess im Vermittlerbetrieb jeder Person im Vertrieb bekannt, entsprechend eingerichtet und dokumentiert?
- Sind die Unterlagen zum POG-Prozess nachvollziehbar abgelegt? Die Dokumentationen zu den Verfahren im Vermittlerbetrieb muss der Vermittler aufbewahren und seiner Aufsichtsbehörde auf Verlangen zu Prüfzwecken zur Verfügung stellen können.
Fazit: Wie dargestellt, kann mit mittlerem Aufwand ein POG-Dokument einmalig erstellt und mit geringerem Aufwand regelmäßig auf dem aktuellen Stand gehalten werden. Ist der Vermittler hingegen selbst Hersteller eines Versicherungsprodukts oder konzipiert er gemeinsam mit einem Versicherer Versicherungsprodukte als Co-Hersteller, ist zu prüfen, inwieweit weitergehende Produktfreigabeprozesse und -leitlinien aufzustellen und einzuhalten sind. Die entsprechenden Vorschriften sind ebenfalls der genannten Delegierten Verordnung zu entnehmen.
Die Checkliste können Sie hier herunterladen.