Die Frage, ob ein Tarifvertrag, der aus einer Zeit vor dem Inkrafttreten der gesetzlichen Zuschusspflicht des § 1a Abs. 1a BetrAVG (2019) stammt, den Zuschuss wirksam modifizieren kann oder nicht, war lange umstritten. Immerhin hatte das BAG in zwei Urteilen (3 AZR 361/21 und 3 AZR 362/22) bei einer wichtigen Frage für Klarheit gesorgt.
Die Richter urteilten, dass kollektivrechtliche Entgeltumwandlungsvereinbarungen im Sinne der Übergangsvorschrift § 26a BetrAVG neben Tarifverträgen auch Betriebsvereinbarungen sein können.
Allerdings hat das BAG in den beiden Urteilen ganz explizit offengelassen,
- ob ein Tarifvertrag zur Altersversorgung aus einer Zeit vor Inkraftreten des der gesetzlichen Zuschusspflicht (2019) von der Tariföffnung des § 19 Abs. 1 BetrAVG Gebrauch machen und den Anspruch der Arbeitnehmer auf diesen Zuschuss modifizieren bzw. abbedingen kann.
- ob und wie bestehende Zuschüsse angerechnet werden können
Dazu urteilte jetzt das LAG Niedersachsen mit Beschluss vom 16.10.2023 (Az.: 15 Sa 224/23 B). Die Revision ist beim BAG anhängig (3 AZR 286/23; Termin zur mündlichen Verhandlung 20.8.2024).
Der Fall vor dem BAG
Der Arbeitnehmer war seit dem 1.7.1992 beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft beiderseitiger Tarifbindung der Tarifvertrag zur Altersversorgung zwischen dem Landesverband Niedersachsen und Bremen der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie e.V. und der IG Metall vom 9. Dezember 2008 Anwendung.
Der Tarifvertrag regelte u. a. einen arbeitgeberfinanzierten Altersvorsorgegrundbetrag in Höhe des 25-fachen des Facharbeiter-Ecklohns pro Kalenderjahr, der durch Entgeltumwandlung eingebracht wurde. Über den Altersvorsorgegrundbetrag hinaus konnten zukünftige Entgeltansprüche zusammen mit dem Altersvorsorgegrundbetrag bis zur steuerlichen Höchstgrenze gem. § 3 Nr. 63 EStG umgewandelt werden.
Für die Monate Januar 2022 bis Juni 2022 (6 Monate) wurden
- der Altersvorsorgegrundbetrag (arbeitgeberfinanziert) in Höhe von 38,48 Euro monatlich und
- 245,52 Euro monatlich
- sowie halbjährlich 300,00 Euro
durch Gehaltsumwandlung in einen Pensionsfonds eingezahlt.
Der Arbeitnehmer verlangte für die Zeit Januar 2022 bis Juni 2022 die Zahlung eines Zuschusses in Höhe von 15 % des umgewandelten Entgelts und zwar in Höhe von
- 45,00 Euro (15 % aus der halbjährlichen Umwandlung von 300 Euro).
- 220,98 Euro (15 % aus der monatlichen Umwandlung von 245,52 Euro x 6 Monate).
Argumente des Arbeitnehmers
Eine tarifrechtlich mögliche Abweichung von Gesetzesbestimmungen (Zuschusspflicht nach § 1a Abs. 1a BetrAVG) setzte einen entsprechenden Regelungswillen der Tarifvertragsparteien voraus. Der Wortlaut des § 19 BetrAVG weise daraufhin, dass nur die Tarifverträge von der Tariföffnungsklausel erfasst werden sollten, die zu einem Zeitpunkt abgeschlossen worden seien, als die Regelung bereits bestand und den Tarifvertragsparteien bekannt war. Das war bei dem aus 2008 stammenden Tarifvertrag nicht der Fall.
So entschied das Landesarbeitsgericht
Das Landesarbeitsgericht sah das anders und entschied:
- § 1a Abs. 1a BetrAVG kann durch einen Tarifvertrag modifiziert werden, der aus einer Zeit vor dem Inkrafttreten des der gesetzlichen Zuschusspflicht (2019) stammt.
- Zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des § 1 a Abs. 1 a BetrAVG bereits aufgrund eines bestehenden Entgeltumwandlungssystems gezahlte Zuschüsse sind auf den Zuschuss nach § 1 a Abs. 1 a BetrAVG anzurechnen.
Im Einzelnen
Ein Anspruch nach § 1a Abs. 1a BetrAVG war ausgeschlossen, weil mit den Regelungen des Tarifvertrages aus 2008 eine abweichende Regelung iSd. § 19 Abs. 1 BetrAVG vorlag. Dabei ist es unerheblich, dass der Tarifvertrag zeitlich vor dem Inkrafttreten des § 1a Abs. 1a BetrAVG abgeschlossen wurde.
Wortlaut des § 19 Abs. 1 BetrAVG
Der Wortlaut des § 19 Abs. 1 BetrAVG steht diesem Ergebnis nicht entgegen, weil die Regelung keine zeitliche Einschränkung enthält. Der Gesetzgeber hat keine Aussage darüber getroffen, dass es sich um Tarifverträge handeln muss, die erst nach dem 1.1.2019 abgeschlossen wurden. Außerdem war dem Gesetzgeber positiv bekannt, dass es eine Vielzahl von Tarifverträgen zur Entgeltumwandlung auch schon vor dem 1.1.2019 gab, die keinen oder einen geringeren Arbeitgeberzuschuss als den in § 1a Abs. 1a BetrAVG geregelten vorsehen.
Sinn und Zweck des § 1a Abs. 1a BetrAVG
Sinn und Zweck des § 1a Abs. 1a BetrAVG ist es den sozialversicherungsrechtlichen Vorteil, den die Arbeitgeber durch die Entgeltumwandlung erlangen, an die Arbeitnehmer weiterzugeben. Wenn die Tarifvertragsparteien eine eigenständige Regelung (Altersvorsorgegrundbetrag) zum Umgang mit dem sozialversicherungsrechtlichen Vorteil für die Arbeitgeber treffen oder bereits getroffen haben, reicht dies aus, um den gesetzgeberischen Zweck zu erfüllen.
Die Übergangsvorschrift des § 26a BetrAVG führt zu keinem anderen Ergebnis.
§ 26a BetrAVG bestimmt, dass § 1a Absatz 1a für individual- und kollektivrechtliche Entgeltumwandlungsvereinbarungen, die vor dem 1. Januar 2019 geschlossen worden sind, erst ab dem 1. Januar 2022 gilt. Die Regelung ordnet dabei nicht ausnahmslos die Anwendung des § 1a Abs. 1a BetrAVG auf vor dem 1. Januar 2019 abgeschlossene individual- und kollektivrechtliche Entgeltumwandlungsvereinbarungen ab dem 01.01.2022 an, sondern nimmt diese vorübergehend bis zum 01.01.2022 von der Anwendung aus.
Regelt der Tarifvertrag den Arbeitgeberzuschuss (Altersvorsorgegrundbetrag) eigenständig und abschließend, schließt die Übergangsregelung den Anspruch aus § 1a Abs. 1a BetrAVG vorübergehend bis zum 01.01.2022 und die Regelung des § 19 Abs. 1 BetrAVG den Anspruch dauerhaft aus.
Anrechnung des Altersvorsorgegrundbetrags auf die Verpflichtung nach § 1a Abs. 1a BetrAVG
Bereits aufgrund eines bestehenden Entgeltumwandlungssystems zu gewährende Zuschüsse (Altersvorsorgegrundbetrag) sind auf den Arbeitgeberzuschuss nach § 1a Abs. 1a BetrAVG anzurechnen.
Der Zuschuss gem. § 1a Abs. 1a BetrAVG besteht nur, soweit der Arbeitgeber durch die Entgeltumwandlung Sozialversicherungsbeiträge erspart. Damit wird der Umfang der Verpflichtung des Arbeitgebers umrissen und begrenzt. Kommt er dieser Verpflichtung bereits aufgrund einer tariflichen Regelung nach, besteht kein Anlass, dem Arbeitgeber weitere Verpflichtungen aufzuerlegen.
Der Altersvorsorgegrundbetrag bat einen Anreiz, über diesen Betrag hinaus Entgelt umzuwandeln und wurde damit zum Grundstock der Entgeltumwandlung, weil er mit dem darüber hinaus umzuwandelnden Entgelt die gesetzlichen Vorteile (§ 3 Nr. 63 EStG, 1 Abs. 1 Nr. 9 SvEV und § 14 Abs. 1 S. 2 SGB 4) genießt. Der Grundbetrag erfüllt damit unmittelbar auch den Zweck des § 1a Abs. 1a BetrAVG und führt zu einer eigenständigen Ausgestaltung der Entgeltumwandlung.