Eine Kundenberatung per Video-Anruf über IT-gestützte Programme und E-Mail-Austausch gewinnt dann in der Versicherungsvermittlung an praktischer Bedeutung, wenn Kunde und Berater entweder aus Gründen des Infektionsschutzes nicht in persönlicher Nähe sein sollten bzw. dürfen oder es aus Praktikabilitätsgründen geboten ist, die Distanz durch moderne Medien zu überbrücken.
Fernabsatz:
Zunächst dürfte die Vermittlungstätigkeit per Videochat und Telefon, ggf. unterstützt durch E-Mail-Korrespondenz Fernabsatz im Sinne des § 312c BGB darstellen. Fernabsatzverträge sind danach Verträge, bei denen der Unternehmer oder eine in seinem Namen oder Auftrag handelnde Person und der Verbraucher für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden (z. B. Online-Portale).
Kein Fernabsatz liegt hingegen vor, wenn der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt. Fernkommunikationsmittel im Sinne dieses Gesetzes sind alle Kommunikationsmittel, die zur Anbahnung oder zum Abschluss eines Vertrags eingesetzt werden können, ohne dass die Vertragsparteien gleichzeitig körperlich anwesend sind, wie Briefe, Kataloge, Telefonanrufe, Telekopien, E-Mails, über den Mobilfunkdienst versendete Nachrichten (SMS) sowie Rundfunk und Telemedien.
Von der Nutzung von Messenger-Diensten wie Whatsapp – was ebenfalls ein Fernabsatzmedium darstellt – sollte aus Datenschutzgründen abgesehen werden.
Erstinformation:
Das in der Beratung eingesetzte Medium entbindet den Vermittler nicht von der Erfüllung seiner gesetzlichen Pflichten zur sog. „Erstinformation“. Die gesetzlichen Pflichten sind insoweit medienneutral ausgestaltet, wenn sich auch im Zeitpunkt der Übermittlung der Informationen Unterschiede zur direkten Vor-Ort-Beratung ergeben können.
Die Inhalte der Erstinformation ergeben sich aus § 15 Versicherungsvermittlungsverordnung (VersVermV): Danach hat der eintragungspflichtige Vermittler seinen Familiennamen und Vornamen sowie die Firmen der Personenhandelsgesellschaften, in denen der Eintragungspflichtige als geschäftsführender Gesellschafter tätig ist und seine betriebliche Anschrift anzugeben. Er muss mitteilen, ob er als Versicherungsmakler, als produktakzessorischer Versicherungsmakler, als Versicherungsvertreter, als gebundener Versicherungsvertreter, als produktakzessorischer Versicherungsvertreter oder als Versicherungsberater gemeldet ist. Ferner, ob er in das Vermittlerregister eingetragen ist und wie sich diese Eintragung überprüfen lässt.
Neu ist seit IDD-Umsetzung, dass der Vermittler angeben muss, ob er eine Beratung anbietet sowie die Art der Vergütung, die er im Zusammenhang mit der Vermittlung erhält und ob die Vergütung direkt vom Kunden zu zahlen ist oder als Provision oder sonstige Vergütung in der Versicherungsprämie enthalten ist.
Auch muss er informieren, ob er als Vergütung andere Zuwendungen erhält und ob seine Vergütung aus einer Verknüpfung von Provisionen und anderen Vergütungen besteht. Zudem muss er Anschrift, Telefonnummer und die Internetadresse der gemeinsamen Stelle (DIHK) und die Registrierungsnummer, unter der er im Register eingetragen ist, angeben.
Daneben die unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligungen von über 10 %, die er an den Stimmrechten oder am Kapital eines Versicherungsunternehmens besitzt, die Versicherungsunternehmen oder Mutterunternehmen eines Versicherungsunternehmens, die eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung von über 10 % an den Stimmrechten oder am Kapital des Vermittlers besitzen. Schließlich muss er die Anschrift der Schlichtungsstelle, die bei Streitigkeiten zwischen Versicherungsvermittlern oder Versicherungsberatern und Versicherungsnehmern angerufen werden kann, benennen.
Sind die Inhalte der Erstinformation noch nachvollziehbar zu fassen, so überrascht doch die grundsätzliche Anordnung des Gesetzgebers, diese dem Versicherungsnehmern beim ersten Geschäftskontakt in Papier (sowie klar, genau und für den VN verständlich und in der Amtssprache des Mitgliedsstaats, in dem das Risiko belegen ist oder in dem die Vereinbarung eingegangen wird oder in der von den Parteien vereinbarten Sprache unentgeltlich) zu übermitteln. Nur dann, wenn dem VN ein Wahlrecht zwischen Papier und dauerhaftem Datenträger (z. B. E-Mail) gegeben wurde und er sich für den Datenträger entschieden hat, darf die Erstinformation auch per E-Mailversendet werden. Schließlich muss die „Nutzung des dauerhaften Datenträgers auch angemessen sein“, was der Fall ist, wenn der VN seine E-Mail-Adresse für die Zwecke dieses Geschäfts mitteilt.
Da die Erstinformation dem VN „mitgeteilt“ werden muss, dürfte es nicht genügen, die Information bloß auf einer Website allgemein zum Download bereit zu stellen. Es müsste aktiv Post (analog oder digital) an den VN angestoßen werden. Ein Zwangsdownload zum Öffnen einer Datei und Abspeichern der Informationen beim VN beim Besuch der Website des Vermittlers dürfte den Anforderungen ebenfalls genügen.
Findet das Geschäft, d.h. die Vermittlungstätigkeit auf einer sog. „sophisticated website“ statt, wovon dann auszugehen ist, wenn der VN im eigenen Kundenbereich eines Maklerportals personalisiert eingelogged ist und dort online, digital oder begleitend telefonisch beraten wird, kann die Erstinformation in diesem Webseiten-Bereich für den VN per an ihn versendeten Link zum Download abrufbar und speicherbar abgelegt werden.
Im telefonischen Kontakt, worunter auch die Videochat-Beratung fallen dürfte, ist die Erstinformation dem VN unmittelbar nach dem ersten Geschäftskontakt zu erteilen. Das heißt nach Beendigung des ersten Gesprächs kann – sofern sich der VN dafür entschieden hat – eine E-Mail an den VN mit den notwendigen Informationen z. B. als pdf-Anhang versendet werden.
Beratung und Dokumentation:
Die im VVG normierten Beratungs- und Dokumentationspflichten des Versicherungsvermittlers bestehen unabhängig von der Art und Weise der Beratung und des gewählten Beratungsmediums. Es ist hinsichtlich des Pflichtenprogramms in der Beratung rechtlich kein Unterschied zwischen einer physischen gleichzeitigen Anwesenheit von Vermittler und Versicherungsnehmer oder der Beratung auf Distanz erkennbar. Nach dem Text der Vertriebsrichtlinie (IDD) ist die Beratung definiert als die „Abgabe einer persönlichen Empfehlung“.
Die im Videochat oder im Telefonat „remote“ abgegebene Empfehlung des Versicherungsvermittlers sollte daher auf dem Beratungsanlass und den im Gespräch ermittelten Wünsche und Bedürfnisse des VN beruhen.
Die Beratungsdokumentation, die Rat und Gründe für den Rat beinhalten, ist dem VN grundsätzlich – wie die Erstinformation – „auf Papier“ zu übermitteln. Wiederum kann der VN ein Wahlrecht dahingehend ausüben, auch die Beratungsdokumentation „auf einem anderen dauerhaften Datenträger als Papier“ zu erhalten, sofern dies angemessen ist. Die Angemessenheit dafür beurteilt sich wieder danach, ob der VN seine E-Mail-Adresse angegeben hat. Alternativ, nämlich bei Beratung und Vermittlung auf einer sog. „sophisticated Website“, darf auch hinsichtlich der Dokumentation wieder über eine link-Lösung gearbeitet werden.
Ein wesentlicher Unterschied besteht in der Möglichkeit des Beratungs- oder Dokumentationsverzichts. Im direkten Kontakt (Nicht-Fernabsatz) muss der Verzicht in einer gesonderten schriftlichen Erklärung erklärt werden unter Hinweis auf entsprechende Nachteile für den VN bei der Möglichkeit Schadenersatzanspruch gegen den Vermittler geltend zu machen. Schriftliche Form heißt, dass der VN eine Urkunde eigenhändig durch Namensunterschrift unterzeichnen muss. Im Fernabsatz kann der Versicherungsnehmer in Textform verzichten.
Textform ist erfüllt, wenn die Erklärung auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben wird. Dies ist jedes Medium, das dem Empfänger ermöglicht, eine auf dem Datenträger befindliche Erklärung so aufzubewahren oder zu speichern, dass sie ihm für ihren Zweck angemessenen Zeitraum zugänglich ist und geeignet ist, die Erklärung unverändert wiederzugeben. Beispiel hierfür sind die E-Mail, Fax oder eine SMS. Beim Beratungsverzicht sollte darauf geachtet werden, dass nach den Regelungen der IDD auf die Ermittlung der subjektiven Wünsche und des objektiven Bedarfs des Versicherungsnehmers nicht verzichtet werden kann. Lediglich die Abgabe einer begründeten persönlichen Empfehlung durch den Vermittler und der entsprechenden Dokumentation kann Gegenstand einer Verzichtserklärung sein.
Berät der Versicherungsvermittler ausschließlich im Videochat oder telefonisch über Versicherungsanlageprodukte, gelten ebenfalls keine Unterschiede zur Vor-Ort-Beratung. Eine Geeignetheits- und Angemessenheitsprüfung, die im Videochat oder telefonisch vorgenommen wurde, ist im Rahmen der Geeignetheitserklärung zu dokumentieren und entsprechend der Beratungsdokumentation an den Versicherungsnehmer zu übermitteln.
Im 2. Teil geht es um die Themen Datenschutz und Geldwäsche beim Vertrieb über Videoberatung.