Das Urteil des Landesarbeitsgerichtes Niedersachen vom 31.5.2021 (15 Sa 1096/20B; Parallelentscheidung 15 Sa 1098/20) hat nun am 8.3.2022 das Bundesarbeitsgericht im Revisionsverfahren überprüft (3 AZR 361/21 und 3 AZR 362/22 ). Das Ergebnis ist lange erwartet worden und in der Praxis hoch bedeutsam.
Mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG), das zum 1.1.2018 in Kraft trat, wurde zum ersten Mal mit dem gesetzlichen Arbeitgeberzuschuss nach § 1a (1a) BetrAVG eine verpflichtende arbeitgeberfinanzierte Versorgung eingeführt. Der Zuschuss zur Entgeltumwandlung muss in den sogenannten versicherungsförmigen Durchführungswegen der betrieblichen Altersversorgung (bAV) in Höhe von 15 % gezahlt werden, soweit Sozialversicherungsbeiträge eingespart werden.
In der ersten Stufe waren ab 1.1.2019 neue Entgeltumwandlungsvereinbarungen betroffen, für „kollektive Entgeltumwandlungsvereinbarungen“ gab es eine Übergangsfrist bis 31.12.2021. Ab dem 1.1.2022 sind grundsätzlich alle betroffenen Entgeltumwandlungen zu bezuschussen.
Die Rechtsunsicherheiten und Auslegungsfragen zu diesem handwerklich schlecht gemachten Gesetz füllen mittlerweile einige Regalmeter. Das ist deshalb problematisch, weil ein zu wenig an Beiträgen des Arbeitgebers – und dass es zu wenig ist, entscheidet Jahre später das Bundesarbeitsgericht (oder könnte per Gesetz klargestellt werden) – zu weniger Versorgungsleistung führt als gesetzlich vorgeschrieben. Und dadurch kann der Arbeitgeber noch Jahre später, obwohl er meinte, alles gut und richtig gemacht zu haben, in die Einstandspflicht kommen, d. h. er muss das „zu wenig“ an Leistung auffüllen.
Offene Frage bei Tarifverträgen
Neben vielen sonstigen offenen Fragen ist es besonders ungut, dass auch Tarifverträge zur betrieblichen Altersversorgung von den ungelösten Fragen dieses Paragraphen tangiert sind. Hier geht es zum einen um die Frage, was sind eigentlich kollektive Entgeltumwandlungsvereinbarungen, die erst zum 1.1.2022 neu geregelt sein müssen. Denn „eigentlich“ werden Entgeltumwandlungsvereinbarungen immer individuell vom jeweiligen Arbeitnehmer mit seinem Arbeitgeber vereinbart.
Die zweite Frage betrifft die häufige Konstellation, dass ein Tarifvertrag einen geringeren, anderen oder gar keinen Arbeitgeberzuschuss vor dem Inkrafttreten des BRSG geregelt hat. Grundsätzlich erlaubt § 19 Abs. 1 BetrAVG, dass per Tarifvertrag von der Regelung des § 1a Abs. 1a BetrAVG auch zu Ungunsten der Arbeitnehmer abweichen darf. Aber kann ein Tarifvertrag etwas regeln, was es bei seinem Inkrafttreten noch gar nicht gab? Damit sind alle Tarifverträge, die vor dem 1.1.2018 etwas zur Entgeltumwandlung geregelt haben, betroffen und einige Tarifvertragsparteien haben die Sachlage, z. B. durch eine Protokollnotiz, klargestellt, z. B. in der Form, dass man wirklich auch nach Inkrafttreten des BRSG keinen Arbeitgeberzuschuss wolle.
Nun hatte das Bundesarbeitsgericht Gelegenheit gleich in zwei Fällen zum Entscheidungen treffen (Urteile vom 8.3.2022, 3 AZR 361/21 und 3 AZR 362/22, Pressemitteilung).
Zwei Fälle mit einem entscheidenden kleinem Unterschied
Es ging in beiden Verfahren um die Jahre 2019 und 2020. Dabei handelt es sich um Jahre, die noch in die Übergangsfrist des § 26a BetrAVG fallen, in denen für kollektivrechtliche Entgeltumwandlungsvereinbarung noch kein Zuschuss gewährt werden muss. Die Parteien stritten über die Verpflichtung der Arbeitgeberin, einen Arbeitgeberzuschuss in Höhe von 15 % des umgewandelten Entgelts nach § 1a Abs. 1a BetrAVG in den Jahren 2019 und 2020 zu zahlen. Beide Arbeitnehmer wandelten auf der Grundlage des Tarifvertrags zur Altersversorgung, der zwischen dem Landesverband Niedersachsen und Bremen der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie e.V. und der IG-Metall abgeschlossen wurde, Entgelt zu einem Pensionsfonds der MetallRente um. Der Tarifvertrag eröffnet den Arbeitnehmern die Möglichkeit, Entgelt bis zur steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Höchstgrenze umzuwandeln. Der Arbeitgeber gewährt ihnen aufgrund des Tarifvertrags zusätzlich einen Altersvorsorgegrundbetrag i. H. d. 25-fachen Facharbeiterecklohns pro Kalenderjahr – also eine zusätzliche arbeitgeberfinanzierte Versorgung.
Im ersten Fall kommt der Tarifvertrag aufgrund beidseitiger Tarifbindung zur Anwendung, in dem anderen aufgrund eines normativ anwendbaren Haustarifvertrags aus dem Jahre 2019, der auf diesen Tarifvertrag verweist. Damit stammt der zweite Tarifvertrag aus der Zeit nach Inkrafttreten des BRSG.
Und genau diese Differenz: Ein Tarifvertrag vor Inkraftreten und ein Tarifvertrag nach Inkrafttreten des BRSG spielt eine entscheidende Rolle in den Urteilen.
In den Jahren 2019 und 2020 gewinnt die Arbeitgeberin
Die Klagen für die Jahre 2019 und 2020 hatten vor dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts – wie auch in den Vorinstanzen – keinen Erfolg.
Die obersten Richter haben nämlich untersucht, ob die Übergangsregelung des § 26a BetrAVG greift, d. h. ob und wann eine „kollektivrechtliche Entgeltumwandlung“ vorliegt: Da der Tarifvertrag zur Altersversorgung einen Anspruch auf Entgeltumwandlung enthält und ausgestaltet, bildet er eine kollektivrechtliche Entgeltumwandlungsvereinbarung, die wegen § 26a BetrVG frühestens zum 1. Januar 2022 einen Anspruch der Arbeitnehmer auf den Arbeitgeberzuschuss auszulösen vermag.
Hinweis für die Praxis
Damit hat das BAG auch einen praxistauglichen Hinweis gegeben, wann eine kollektivrechtliche Entgeltumwandlung überhaupt vorliegt – das betrifft neben Tarifverträgen vor allem auch Betriebsvereinbarungen!
Wenn daher ein Tarifvertrag zur Altersversorgung aus dem Jahr 2008 einen Anspruch der Arbeitnehmer auf Entgeltumwandlung sowie Zusatzleistungen des Arbeitgebers zum umgewandelten Entgelt regelt, können die Arbeitnehmer wegen der gesetzlichen Übergangsbestimmung in § 26a BetrAVG bis zum 31. Dezember 2021 keinen weiteren Arbeitgeberzuschuss verlangen.
Und was kann ein Tarifvertrag ab dem 1.1.2022 regeln?
Hier unterscheiden die Richter je nach Fallkonstellation: Verweist ein Haustarifvertrag aus dem Jahre 2019 auf diesen Tarifvertrag, ist ein Anspruch auch über den 31. Dezember 2021 hinaus ausgeschlossen. Bei dem Haustarifvertrag handelt es sich um eine kraft Gesetzes zugelassene Abweichung nach § 19 Abs. 1 BetrAVG. Das folgt daraus, dass dieser Tarifvertrag auf die von § 1a BetrAVG abweichenden Regelungen des Tarifvertrags zur Altersversorgung Bezug nimmt, die ua. mit dem Altersversorgungsgrundbetrag eine von § 1a Abs. 1a BetrAVG abweichende Verteilung des wirtschaftlichen Nutzens und der Lasten der Entgeltumwandlung enthalten.
Ganz explizit hat allerdings der Pensionssenat offengelassen, ob der Tarifvertrag zur Altersversorgung aus dem Jahr 2008 von der Tariföffnung des § 19 Abs. 1 BetrAVG Gebrauch machen und den Anspruch der Arbeitnehmer modifizieren konnte, obwohl er vor dem Inkrafttreten des Betriebsrentenstärkungsgesetzes abgeschlossen wurde. Das ist eine sehr häufige Fallkonstellation.
Erste Lichtblicke, aber immer noch viel Schatten
Das Bundesarbeitsgericht hat leider nur etwas Licht ins Dunkel gebracht. Jetzt gibt es für Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen eine praxisnahe Auslegung, wann eine „kollektivrechtliche Entgeltumwandlungsvereinbarung“ vorliegt. Das ist Voraussetzung dafür, dass die Übergangsregelung nach § 26a BetrAVG überhaupt greift.
Offengelassen hat der Pensionssenat allerdings die Frage, ob „alte“ Tarifverträge, die vor Inkrafttreten des BRSG geschlossen wurden, eine Ausnahmeregelung zum § 1a Abs. 1a BetrAVG wirksam treffen können. Hier müssen sich die Betroffenen weiter gedulden, bis in Erfurt neuerlich ein Streitfall anlandet und dann in der Dunkelkammer des § 1a Abs. 1a BetrAVG weitere Lichter angeschaltet werden.