Ab 1.1.2022 wird es endgültig schwer für Lebensversicherungen. Denn dann gilt nach der Änderung der entsprechenden Verordnungen des Bundesfinanzministeriums, die am 27.4.2021 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde, bei Lebensversicherern, Pensionskassen und Pensionsfonds der neue Höchstrechnungszins i. H. v. 0,25 %. Mit der Absenkung von 0,9 % auf 0,25 % wird ein von Beginn an garantierter Bruttobeitragserhalt schwierig bis unmöglich.
Die Niedrigzins- oder öfter schon Negativzinsphase verändert massiv die Welt des Sparens und der Vorsorge. 0,00 % ist beim Sparen mittlerweile fast ein Schnäppchen. Denn immer häufiger werden mittlerweile von Banken „Verwahrgebühren“ oder schlicht Minuszinsen bereits bei kleineren Anlagebeträgen verlangt.
Bei den Altersvorsorgeprodukten führt diese Zinsentwicklung weg von klassischen Produkten hin zu Produkten, in denen Sicherheit und höhere Renditen neu miteinander verbunden werden. Ein Teil der Beiträge wird für die Erzeugung der Garantien in sicheren Kapitalanlagen verwendet, ein Teil der Beiträge für Anlagen in höherrentierlichen Fonds. Doch mit dem nun deutlich sinkendem Rechnungszins wird es auch für Lebensversicherer unmöglich, noch Garantien in Höhe der eingezahlten Beiträge (100 %-Beitragsgarantie oder Bruttobeitragsgarantie) sicherzustellen.
Warnung, den heutigen Zins noch auszuschöpfen
In der Begründung zur Verordnung der Absenkung des Rechnungszins findet man Bemerkenswertes. Denn dort wird die Branche explizit davor gewarnt wird, den heutigen Höchstrechnungszins von 0,9 % noch auszuschöpfen. „Die Verordnung tritt am 1.1.2022 in Kraft, so dass die Versicherungsunternehmen und Pensionsfonds ausreichend Zeit für die Umstellung auf den neuen Höchstrechnungszins haben. Davon unberührt bleibt die Pflicht der Unternehmen, den Rechnungszins zur Bewertung der Verpflichtungen aus neu abgeschlossenen Verträgen schon vor dem 1.1.2022 umgehend zu senken, wenn dies erforderlich, um angemessene Rückstellungen zu gewährleisten und langfristige Risiken aus dem Neugeschäft zu begrenzen, oder den Verkauf der betreffenden Tarife einzustellen.“
Riester und bAV stehen auf der roten Liste
Damit tritt der Ernstfall ein. Denn mit einem Höchstrechnungszins von 0,25 % ist der Beitragserhalt, wie ein Bericht einer Arbeitsgruppe der Aktuarvereinigung zeigt, selbst ohne Ansatz von Abschluss- und Vertriebskosten nicht mehr möglich. Riester-Produkte und betriebliche Altersversorgung mit Beitragszusage mit Mindestleistung stehen damit auf der roten Liste der aussterbenden Arten.
Das ist die Realität für Anbieter, Berater, Vermittler und Kunden. Auf der Tagung „Forum Arbeitsrecht“ der Arbeitsgemeinschaft betriebliche Altersversorgung (aba) forderte daher Karsten Tacke, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Pfalzmetall, die Politik pointiert dazu auf, auch die entsprechenden Garantieniveaus trotz Superwahljahr an die Realität der Niedrigzinsphase anzupassen. Auch z. B. die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV), die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (aba) und der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) weisen die Politik sehr deutlich auf diese Verknüpfung zwischen Niedrigzins und Garantieniveau hin und fordern ebenfalls ein Absenken des gesetzlich vorgeschriebenen Garantieniveaus.
Schwierig bis unmöglich, zu einem Beitragserhalt zu kommen
Was Tacke meint, zeigt eindrucksvoll ein Ergebnisbericht der DAV zu Garantien in der bAV im Niedrigzinsumfeld. Dort rechnen die Aktuare vor, wie lange es dauert, die Mindestleistung in Form einer 100 %-Beitragsgarantie bei normalen Kosten (Inkassokosten, Betakosten = 3 %, Verwaltungskosten, Gammakosten 0,25 %) mit und ohne Kosten für Abschluss und Vertrieb (Alphakosten) zu erwirtschaften.
Ab 0,5 % Rechnungszins wird es schwierig bis unmöglich, zu einem Beitragserhalt bei normalen Laufzeiten zu kommen, auch dann, wenn die Abschluss-Vertriebskosten wegfallen (Alphakosten Null).
Kalkulationszins | Notwendige Laufzeit zur Erreichung der Mindestleistung (eingezahlte Beiträge) | Notwendige Laufzeit zur Erreichung der Mindestleistung (eingezahlte Beiträge) |
bei alpha = 1,5 % | bei alpha = 0 % | |
0,90 % | 15 Jahre | 9 Jahre |
0,75 % | 19 Jahre | 12 Jahre |
0,50 % | 37 Jahre | 24 Jahre |
0,25 % | >100 Jahre | >100 Jahre |
Trend wird sich 2022 deutlich fortsetzen müssen
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Sie begründen die marktweite Absenkung von Garantien in der privaten und betrieblichen Altersversorgung im Jahr 2021. Dieser Trend wird sich 2022 deutlich fortsetzen müssen.
Hohe Garantien bieten in Niedrigzinsumfeld nicht mehr Sicherheit
Eine neue Studie des ifa – Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften (ifa) in Ulm zeigt, dass aufgrund des Risikoprofils in der Niedrigzinsphase Produkte mit abgesenkten Garantien inflationsbereinigt auch für sicherheitsorientierte Verbraucher bedarfsgerecht sind. Das ifa rechnet vor, dass hohe Garantien in einem Niedrigzinsumfeld inflationsbereinigt nicht mehr – wie früher – mehr Sicherheit bieten.
Hohe Garantien erhöhen sogar das Risiko. Die Forscher zeigen, dass im heutigen Zinsumfeld eine höhere Garantie sogar die Sicherheit reduzieren kann. Daher ihre These, dass im aktuellen Zinsumfeld Produkte mit abgesenkter Garantie auch für sicherheitsorientierte Verbraucher bedarfsgerecht sind.
Teil 2 dieser Artikelreihe beschäftigt sich mit neuen Perspektiven in der bAV. Betrachtet wird hier die beitragsorientierte Leistungszusage (BoLz).
Teil 3 behandelt arbeitsrechtliche Implikationen der Entwicklung. Erörtert werden die Frage der Wertgleichheit und Informationspflichten gegenüber den Beschäftigten.
Dieser Artikel ist im Original im VersicherungsJournal erschienen und wurde für bAVGenau! an die zwischenzeitliche Entwicklung bzgl. des Höchstrechungszins angepasst.