Die Beitragsbemessungsgrenze (West) der gesetzlichen Rentenversicherung gehört zu den wichtigsten Werten für die betriebliche Altersversorgung. Seit 1959 steigt die BBG jährlich und zwar je nach Bruttolohnanstieg zum Vorjahr. Anstieg jedes Jahr? Das war gestern. Denn durch Corona soll jetzt die BBG zum 1.1.2022 nach der in § 159 SGB VI vorgegebenen Rechenformel zum ersten Mal sinken. Denn im Jahr 2020 betrug die Bruttolohnentwicklung minus 0,27 im Osten bzw. minus 0,34 im Westen.
Das hat Auswirkungen für die betriebliche Altersversorgung. Denn folgende Werte sind von der BBG Rentenversicherung (West) direkt abhängig:
- Steuerliche Höchstförderung i. H. v. 8 % der BBG in den Durchführungswegen Direktversicherung, Pensionskasse, Pensionsfonds gemäß § 3 Nr. 63 EStG. Dazu gehört auch der Höchstbetrag des sog. Vervielfältigers (das 10fache der BBG);
- Sozialversicherungsfreiheit i. H. v. 4 % der BBG für die Durchführungswege Direktversicherung, Pensionskasse, Pensionsfonds gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 9 SvEV;
- Sozialversicherungsfreiheit i. H. v. 4 % der BBG bei Entgeltumwandlungen zugunsten der Durchführungswege Pensionszusage und Unterstützungskasse gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 SGB IV;
- die Sicherungsgrenze des PSV i. H. v. 4 % der BBG in den ersten beiden Jahren bei Entgeltumwandlung gemäß § 7 Abs. 5 S. 3 Nr. 2 BetrAVG.
4 % der BBG sind in 2021 284 Euro und in 2022 282 Euro, 8 % der BBG 568 Euro in 2021 und 2022 564 Euro. Es geht also um 2 bzw. 4 Euro weniger pro Monat.
Warum hat dieses erstmalige Absenken der BBG vielen Stakeholdern der bAV ein tiefes, sehr tiefes Seufzen entlockt? Der Entwurf des BMAS spricht zwar davon (wie so häufig), dass die neuen Werte keinen, noch nicht einmal einen klitzekleinen Erfüllungsaufwand in der Wirtschaft auslösen, aber jeder Kenner der bAV hat wahrscheinlich schon beim Überfliegen der Zahlen, sofort erste Aufwandsszenarien vor Augen gehabt. Denn häufig werden die Freibeträge schon bisher voll ausgenutzt, zum Teil in einem komplexen Zusammenspiel zwischen Arbeitnehmerbeiträgen, Pflichtzuschuss nach § 1a (1a) BetrAVG und weiteren Arbeitgeberanteilen.
Aufwände in der Verwaltung, Lohnbuchhaltung, Kommunikation: Die Steuer- und Sozialversicherungsfreiheit ist tangiert
2 bzw. 4 Euro pro Monat ist ja nicht viel. Also Augen zu und durch? Dagegen spricht, dass das Schlüsselelement für die Verbreitung der bAV ist sowohl aus Arbeitnehmer- wie aus Arbeitgebersicht die Steuer- und Sozialversicherungsfreiheit der Beiträge ist. In der Regel sind die Systeme darauf austariert, dass dies gewährleistet ist. Die Kommunikation und das Vertrauen in die bAV ist für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber darauf ausgerichtet und auch die Vertragsgrundlagen stellen häufig genau auf diesen Umstand ab.
Wie immer in der betrieblichen Altersversorgung muss zum einen die arbeitsvertragliche Zusage geprüft werden und zum anderen die Vereinbarung mit dem Versorgungsträger. Und als Zusatzaufgabe kommt dann noch dazu: Umsetzung in der Lohnbuchhaltung und Kommunikation mit den Betroffenen.
Die Hände des Versicherers/ Versorgungsträgers sind teilweise gebunden
Auch die Versorgungsträger / Versicherer sind gefordert. Häufiger kommt bei Verträgen mit Dynamik eine Deckelung auf die BBG zur Anwendung. Hier sind die Vertragsunterlagen zu prüfen, ob die z. B. im Antrag verwendete Formulierung nicht zwangsläufig zu einem Absenken des Beitrags, der dann maschinell ausgeführt wird, führen muss.
Anders liegt es bei Verträgen mit „Festbeitrag“ hier hat der Versorgungsträger/Versicherer wahrscheinlich regelmäßig keine vertragliche Verpflichtung und auch kein Recht, den Beitrag auf die BBG 2022 abzusenken. Das trifft vor allem Verträge, die mit einem Beitrag i. H. v. 4 bzw. 8 % der BBG im Jahr 2021 gerade abgeschlossen worden sind. Das ist dann kommunikativ besonders schön: Kaum gewonnen, so zerronnen.
Ist ein Absenken gewünscht, muss das vom Arbeitgeber als Versicherungsnehmer aktiv angestoßen werden. Das führt dann zu weiteren Aufwendungen: Es sind Policennachträge zu erstellen und, wenn sich der Vertrag noch in der Stornohaftzeit befindet, muss hier die Teilstornierung abgerechnet werden. Noch aufwändiger wird es, wenn Monatszahler sich erst nach dem 1.1.2022 melden und ihre Beiträge absenken wollen, dann heißt es entweder Rückabwicklung zum 1.1. oder pro-rata-Absenkung ab dem nächsten Zahlzeitpunkt. Und zuletzt: Zum 1.1.2023 heißt es dann wahrscheinlich Rolle rückwärts.
Übrigens könnte sich bei Unterstützungskassenversorgungen, für die nach § 14 Abs. 1 S. 2 SGB IV bei Entgeltumwandlungen auch die Sozialversicherungsfreiheit auf 4 % der BBG ist, noch das Sonderproblem ergeben, ob ein Absenken der Beiträge etwa steuerschädlich ist. Die Finanzverwaltung anerkennt ein Absenken bisher nur dann, wenn auch die arbeitsrechtliche Zusage geändert wird – an ein Absinken der BBG hat da keiner gedacht. Und bitte daran denken: Für Unterstützungskassen (wie Pensionszusagen) gilt weiter das Schriftformerfordernis.
Hier einige Fallkonstellationen
Fall 1:
Der Arbeitnehmer wandelt monatlich insgesamt 4 % der BBG um und verdient selbst unterhalb der BBG Rentenversicherung.
Steuerlich kein Problem. Sozialversicherungsrechtlich werden dann pro Monat 2 Euro verbeitragt, wenn die Lohnbuchhaltung dies richtig verbuchen kann. Im Leistungsfall müssen von gesetzlich Krankenversicherten, da kein Versicherungsnehmerwechsel stattfinden konnte, nach § 229 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB V auch die Leistungen, die auf den insgesamt 24 Euro beruhen, als Versorgungsbezug verbeitragt werden. Ein klassischer Fall der doppelten Verbeitragung.
Verdient der Arbeitnehmer oberhalb der BBG Rentenversicherung gibt es keine Auswirkungen.
Fall 2:
Der Arbeitnehmer wandelt monatlich insgesamt 8 % der BBG um und verdient selbst oberhalb der BBG Rentenversicherung.
An der Verbeitragung ändert sich nichts, da der Arbeitnehmer oberhalb der BBG verdient. In der Leistungsphase ist der gesamte Betrag als Versorgungsbezug zu erfassen.
Steuerlich muss der Versorgungsträger in seiner Steuerdatenhaltung 2 Euro pro Monat unter nicht-geförderten Beiträgen aufzeichnen. Im Leistungsbezug kommt es dann zu einem Aufsplitten der Leistung für die Versteuerung, auch wenn es sich nur um Cent-Beträge handelt.
Besonders ärgerlich sind die Auswirkungen, wenn der Arbeitgeber gerade alle Entgeltumwandlungsbestände neu geordnet hat, damit das mit den 15 % Zuschuss ab 1.1.2022 auch gut klappt. Bei Spitzabrechnung oder bei Einsatz der sog. Reduktionslösung (d.h. der Beitrag bleibt gleich und wird neu zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber so aufgeteilt, dass der Arbeitgeberzuschuss richtig gezahlt wird) muss sich nun die Lohnabrechnung wieder mit der bAV beschäftigen. Mit dem Absenken der BBG ist bei betroffenen Verträgen, die an 4 % der BBG liegen, zu prüfen, ob hier nicht neu aufgeteilt werden muss. Und wenn dadurch der Gesamtbeitrag absinkt, so muss das wieder mit dem Versicherer geregelt werden – wegen ein paar Cent.
Auswirkungen zusätzlich auch auf die Basisrente
Die Basisrente ist wichtig für die Versorgung von Freiberuflern und Selbständigen. Auch hier ergeben sich Folgewirkungen aufgrund des Absinkens der BBG. Denn die als Sonderausgaben abzugsfähigen Beiträge sind nach § 10 Abs. 3 EStG auf den Höchstbetrag zur knappschaftlichen Rentenversicherung begrenzt.
Ein Hoffnungsschimmer: Greift die Politik noch ein?
Mit dem Absinken der BBG ist der bAV, wie man sieht, ein Bärendienst erwiesen. Auch sozialpolitisch, wo ein Mehr an Altersvorsorge allenthalben gefordert ist, ist das das falsche Signal und auch schwierig an die Arbeitnehmer zu kommunizieren.
Ist das Absenken der BBG zum 1.1.2022 unvermeidbar? Der GDV jedenfalls hat sofort nach Bekanntwerden der neuen SV-Rechengrößen mit entsprechenden Eingaben an das BMF und BMAS reagiert und auch die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (aba) ist dem Vernehmen nach tätig.
Ein Abweichen gab es schon 2003. Damals wurde die Beitragsbemessungsgrenze abweichend von der sonst gültigen Rechenregel durch das Beitragssatzsicherungsgesetz vom 23.12.2002 stärker als im gesetzlichen Normalfall geregelt angehoben. Und aufgrund der Coronasituation waren 2020/2021 auch in anderen Rechtsgebieten Corona-Patches nicht ungewöhnlich – man denke nur an die Sonderregelung zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht oder zu elektronischen Haupt- und Mitgliederversammlungen.
Bisher hat sich die Politik da sehr einsichtig und flexibel gezeigt. Allerdings ist ein Gesetzgebungsprozess, der kurzfristig einen „Patch“ auf den Weg bringt, dadurch erschwert, dass am 26.9. Bundestagswahl ist und danach wahrscheinlich langwierige Koalitionsverhandlungen beginnen. „Schaun mer mol“. Erfahren Sie mehr dazu.
Zur Lektüre empfehle ich auch den pointierten Kommentar von Andreas Cera, Bereichsleiter Altersversorgung bei der Otto Group, Hamburg: Willkommen im Dschungel