Die Corona-Pandemie wird viele Branchen und Unternehmen wirtschaftlich schwer treffen. Das wird sich auch auf die Mitarbeiter auswirken. Aber auch diejenigen, die nicht mehr aktiv arbeiten, sondern eine Betriebsrente bekommen, sind vor Einbußen nicht sicher, wie aktuelle Beispiele zeigen.
Der Karstadt/Kaufhof-Konzern machte vor einigen Wochen damit Schlagzeilen, dass er die Rentenzahlungen an die Betriebsrentner aussetzte. Was bedeutet das konkret für die Betroffenen?
Dr. Henriette Meissner: Der Konzern ist ja im Schutzschirmverfahren, mit dem drei Monate lang eine geordnete Insolvenz vorbereitet werden soll. In dieser Zeit werden alle Zahlungen reduziert, die reduzierbar sind – das heißt, viele Gläubiger bekommen kein Geld und dazu gehören auch die Betriebsrentner. Danach kommt es in der Regel zu einer Insolvenz, in der das Unternehmen saniert wird. Wenn das der Fall ist, tritt der Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) rückwirkend für die ausstehenden Rentenzahlungen ein. Das ist vielfach ein großer Sanierungsbeitrag. Wenn sich das Unternehmen erholt und es nicht zu einer Insolvenz kommt, zahlt es die ausstehenden Betriebsrenten selbst. Der Schaden des Betriebsrentners besteht also darin, dass er seine Betriebsrente erst später bekommt. Das ist ärgerlich, aber kein GAU.
Erwarten Sie als Auswirkung der Corona-Pandemie noch viele derartige Fälle?
Dr. Henriette Meissner: Es gibt schon jetzt mehrere Schutzschirmverfahren. Man muss aber klar herausstellen, dass die Betriebsrenten in Deutschland außerordentlich gut geschützt sind. Dieser Schutz ist jetzt nochmals deutlich verbessert worden. Für Vermittler ist es jetzt wichtig, die Sicherungsmechanismen gut zu kennen, damit er seine Kundinnen und Kunden richtig beraten kann.
„Die Betriebsrenten in Deutschland sind außerordentlich gut geschützt.“
Dr. Henriette Meissner
Am 24. Juni ist ja das SGB-IV-Änderungsgesetz mit einer Neufassung des Schutzes durch den PSV in Kraft getreten. Was hat das für Auswirkungen für Betriebsrentner und Unternehmen?
Dr. Henriette Meissner: Für Betriebsrentner bedeutet das letztlich ein weiteres „Plus“ an Sicherheit. Denn dieser neue Schutz betrifft die Pensionskassen. Es haben doch einige Pensionskassen ihre Leistungen gekürzt. Normalerweise tritt dann der Arbeitgeber für die Differenz ein. Im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers war der Kürzungsbetrag „verloren“. Dafür tritt ab 2022 der Pensions-Sicherungs-Verein in vollem Umfang ein.
Bei den Unternehmen löst es mit Sicherheit keine Freude aus, weil sie ab 2021 – bis auf wenige Ausnahmen – obligatorisch PSV-Beiträge zahlen müssen. Ein Lichtblick ist, dass nun im Gesetz geregelt ist, dass die Pensionskassen für die Arbeitgeber die Beiträge abführen können. Das könnte gerade bei Firmen-Pensionskassen die Verwaltung deutlich erleichtern.
Deckt denn der neue PSV-Schutz für Pensionskassen alle Einbußen ab?
Dr. Henriette Meissner: Es gibt mehrere Wermutstropfen: Die neue Regelung schützt nur diejenigen, die unter das Betriebsrentengesetz fallen, weil sie Arbeitnehmer sind, und nur Ansprüche, die betriebliche Altersversorgung darstellen. Wer z. B. nach dem Ausscheiden beim Arbeitgeber oder als Unternehmer Einzahlungen in den Pensionskassenvertrag vorgenommen hat, ist nicht geschützt. Wie man hört, waren z. B. bei der Pensionskasse der steuerberatenden Berufe viele selbstständige Steuerberater versorgt, deren Altersversorgung teilweise deutlich gekürzt wurde. Hier wird der neue Schutz nicht greifen.
Und falls die Insolvenz des Arbeitgebers vor dem 1.1.2022 liegt, wird die Kürzung der Pensionskassenleistung auch nicht in vollem Umfang ausgeglichen. Das ist beim gegenwärtigen Corona-Schaden der Wirtschaft sehr bedauerlich. Denn bis zu diesem Stichtag regelt das Gesetz, dass der Betriebsrentner 50 % Kürzung hinnehmen muss – ausgenommen er fällt durch die Kürzung unter die Armutsgefährdungsschwelle.
Kann man in der aktuellen Situation überhaupt noch bAV vermitteln oder ist das faktisch unmöglich?
Dr. Henriette Meissner: Gerade jetzt in diesen unsicheren Zeiten ist die Absicherung durch die bAV ja ein wichtiges Thema und gleichzeitig ein Argument im Kampf um Fachkräfte. Eine aktuelle Studie von Willis Towers Watson zeigt, dass gerade in unsicheren Zeiten die Absicherung durch den Arbeitgeber ganz besonders wertgeschätzt wird. Und auch wenn Corona in manchen Firmen deutliche Spuren hinterlässt, wird der Fachkräftemangel weiter ein Megathema bleiben und damit auch Zusatzleistungen des Arbeitgebers, wie z. B. die Betriebsrente.
„Betriebliche Altersversorgung wird als Sozialleistung weiter an Wert gewinnen.“
Dr. Henriette Meissner
In der Hoch-Zeit der Krise fand ja vieles digital aus dem Home-Office statt, auch die Versicherungsberatung und -vermittlung. Wie wirkt sich das in der betrieblichen Altersversorgung aus?
Dr. Henriette Meissner: Grundsätzlich kann man nach den bisherigen Erfahrungen z. B. mit Videoberatung sagen, dass die Vermittlung von Altersversorgung auch digital funktioniert. Die Krise hat das befördert und als Digitalbeschleuniger gewirkt. Wir mussten alle sehr schnell flexibler werden. Dabei kommt es meiner Meinung nach auf das richtige Mischungsverhältnis zwischen persönlicher und digitaler Beratung an. Das muss jeder für sich herausfinden. Das Erstgespräch wird wahrscheinlich immer noch persönlich stattfinden.
Aber wenn dann das Versorgungssystem installiert ist, können beispielsweise Betriebsversammlungen und auch Einzelgespräche durchaus per Video also digital stattfinden. Für den Abschluss stellt z. B. die Stuttgarter die elektronische Signatur zur Verfügung. Auch unsere Gesprächspartner und Kunden sind dafür jetzt viel aufgeschlossener. Das gilt übrigens auch für die digitale Verwaltung über Arbeitgeberplattformen, wie sie z. B. die Stuttgarter mit dem Betriebsrenten-Manager zur Verfügung stellt.
Glauben Sie, dass die Pandemie die bAV-Landschaft in Deutschland generell verändern wird?
Dr. Henriette Meissner: Ja und Nein. Betriebliche Altersversorgung wird als Sozialleistung weiter an Wert gewinnen. Denn die Generation der Babyboomer geht jetzt in Rente und es werden nicht immer genügend Fachkräfte nachwachsen. Allerdings sehe ich die bAV deutlich digitaler – da findet jetzt ein schneller Paradigmenwechsel statt.
Es wird ja häufig davon geredet, dass die Krise auch eine Chance sein könnte – könnte das auch auf die bAV zutreffen? Werden z. B. Nachhaltigkeitsaspekte bei der Kapitalanlage in Zukunft eine wichtigere Rolle spielen oder sind sie in erster Linie etwas für bessere Zeiten?
Dr. Henriette Meissner: Das Thema Nachhaltigkeit bleibt wichtig. Es hat zwei Treiber, zum einen die Politik und insbesondere die Europäische Union, zum anderen die Verbraucher, die immer besser informiert sind und Wert auf nachhaltige Investments und Unternehmenspolitik legen. Die Stuttgarter hatte sehr früh schon die GrüneRente als Produkt am Markt und ich kann sagen, dass immer mehr Firmenkunden an diesem Thema interessiert sind.
Die betriebliche Altersversorgung an sich ist ja ein Nachhaltigkeitsthema und eine „grüne Betriebsrente“ verstärkt dies. Insgesamt, denke ich, dass wir beim Thema Nachhaltigkeit ohnehin auf der Beschleunigungsspur sind. Der Druck wird weiter anhalten und sich verstärken. Der „große Tanker“ Kapitalanlage wird in allen Häusern mittlerweile auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Das muss mit der gebotenen Sorgfalt geschehen, da es sich um das Geld unserer Kunden handelt. Diesen Prozess müssen wir konsequent fortsetzen.
Interview erschienen auf Versicherungspraxis24.de