Bei Ausübung des Kapitalwahlrechts einer Direktversicherung kann die ermäßigte Besteuerung nach § 34 EStG angewendet werden – es kommt aber auf die „Atypik“ an.
Ob die Fünftelregelung, also die ermäßigte Besteuerung nach § 34 EStG, in der betrieblichen Altersversorgung (bAV) angewendet werden kann, war in der Vergangenheit schon öfter Thema auf bAVheute oder auch im Zusammenhang mit dem Wachstumschancengesetz. Das Thema ist mittlerweile ein Dauerbrenner in der Finanzgerichtsbarkeit.
Nun hatte das Finanzgericht Münster (Urteil 24.10.2023, 1 K 1990/22 E) wieder einen Fall zu entscheiden dem, grob vereinfacht, folgender Sachverhalt zugrunde lag.
Der Fall vor dem Finanzgericht
Die Klägerin wandelte, steuerlich begünstigt nach § 3 Nr. 63 EStG, ab 1.4.2005 monatlich 208 Euro Gehalt zu Gunsten einer betrieblichen Altersversorgung um. Als Durchführungsweg wurde die Direktversicherung gewählt. Die Beitragszahlungsdauer belief sich auf 14 Jahre. Ab dem 1.4.2019 sollte eine lebenslange monatliche Rente gezahlt werden, wobei auf Antrag auch eine Kapitalabfindung möglich war. Von diesem Wahlrecht machte die ehemalige Arbeitnehmerin am 1.4.2019 auch Gebrauch worauf sie einen Betrag in Höhe von 44.529 Euro ausgezahlt bekam.
Diesen Betrag behandelte das Finanzamt im Einkommensteuerbescheid für 2019 als steuerpflichtige Rente nach § 22 Nr. 5 EStG und unterwarf ihn dem regulären Steuersatz. Der Einspruch, mit dem die Klägerin die Anwendung der Fünftelregelung (§ 34 Abs. 1 EStG) verlangte, blieb erfolglos und somit war die Klage vor dem Finanzgericht Münster der nächste Schritt.
Die Argumente der Klägerin
Im Wesentlichen argumentierte die Klägerin damit, dass der Gesetzeswortlaut von § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG und damit die Voraussetzungen der ermäßigten Besteuerung, erfüllt sei.
„(2) Als außerordentliche Einkünfte kommen nur in Betracht:
1…
2…
3…
4. Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten; mehrjährig ist eine Tätigkeit, soweit sie sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst.“
Ein weiteres Tatbestandsmerkmal der Atypik sei im Gesetz nicht enthalten und werde auch für die übrigen Tatbestände des § 34 Abs. 2 Nrn. 1-3 EStG nicht gefordert. Auch der Zweck des Gesetzes sei erfüllt, denn es sei eine Zusammenballung von Einkünften eingetreten.
So urteilte das Finanzgericht
Das Finanzgericht sah das anders und verwehrte der Klägerin die Fünftelregelung.
Zwar gehört die Kapitalabfindung zu den außerordentlichen Einkünften für mehrjährige Tätigkeiten (§ 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG), und diese stellen auch eine „Vergütung“ im Sinne der Vorschrift dar, weil darunter alle Vorteile von wirtschaftlichem Wert in Betracht kommen, die der Steuerpflichtige im Rahmen der jeweiligen Einkunftsart erzielt. Dazu zählen auch Einmalzahlungen von Direktversicherungen.
Die „Tätigkeit“ besteht bei Alterseinkünften in der früheren Leistung von Beiträgen. Die Kapitalauszahlung beruhte im Streitfall auf der früheren Leistung von Beiträgen und das über einen Zeitraum von 14 Jahren, was für die Voraussetzung „mehrjährig“ ausreicht.
Die Anwendung der Fünftelregelung scheiterte allerdings am Tatbestandsmerkmal der „Außerordentlichkeit“. Es werden nur solche Einkünfte begünstigt, die als außerordentlich bzw. atypisch anzusehen sind.
Knackpunkt Kapitalwahlrecht – was sagen die Statistiken?
Für die Außerordentlichkeit ist im Rahmen eines Kapitalwahlrechts maßgeblich, ob dieses nur in atypischen Einzelfällen tatsächlich ausgeübt wird. Hierfür muss nach der BFH-Rechtsprechung statistisches Material ausgewertet werden ob das Kapitalwahlrecht nur in atypischen Einzelfällen tatsächlich ausgeübt wird. Organisationen wie die zentrale Stelle (§ 81 EStG), Verbraucherschutzorganisationen sowie Verbände der Anbieter verfügen dürften über entsprechendes Datenmaterial verfügen (BFH-Urteil vom 11.6.2019 X R 7/18, BStBl. II 2019, 538).
Und bei dieser auf Statistiken beruhenden Betrachtung scheitert der Nachweis der Atypik, da solche Statistiken, im übrigen auch in anderen Rechtsstreitigkeiten (z.B. FG Köln, Urteil vom 30.9.2021, 15 K 855/18, EFG 2022, 166), nicht erbracht werden konnten. Zum anderen kritisiert das Finanzgericht, hat der BFH für den Fall, dass statistisches Material vorgelegt werden könnte, nicht entschieden, wie dieses auszuwerten ist, insbesondere, ab welchem Prozentsatz eine Atypik bejaht werden kann.
Für den zu entscheidenden Fall: Keine Statistik keine Atypik
Der Nachweis der Atypik durch Statistiken wurde durch die Klägerin nicht erbracht und somit nicht nachgewiesen. Aber selbst wenn dies so gewesen wäre, läge bei einem von vornherein vereinbaren Kapitalwahlrecht keine Atypik vor. Die Klägerin hat zum vereinbarten Laufzeitende von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Sie war in dieser Entscheidung unabhängig und frei und hätte stattdessen auch laufende Rentenzahlungen wählen können. Daraus konnte das Gericht keine Atypik herleiten. Die Klage blieb erfolglos. Die Revision zum BFH wurde zugelassen.