Es ist durchaus üblich, dass Betriebsrentenzusagen auch ein Kapitalwahlrecht enthalten. Manchmal enthält die Zusage auch ein sogenanntes einseitiges Kapitalwahlrecht des Arbeitgebers. Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 17.1.2023, 3 AZR 501/21) hatte nun zu entscheiden, ob und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen der Arbeitgeber einseitig das Kapitalwahlrecht ausüben kann, wenn der ehemalige Arbeitnehmer die zugesagte Rentenzahlung möchte.
Fazit:
In der Zusammenschau dieses Urteils mit dem weiteren Urteil des BAG zur Kapitalabfindung (Urteil vom 17.1.2023, 3 AZR 220/22) hat das Bundesarbeitsgericht nun die Möglichkeiten einer einseitigen Ausübung des Kapitalwahlrechts von Seiten des Arbeitgebers und der Höhe der Kapitalzahlung ausgelotet:
- Ein einseitiges Kapitalwahlrecht des Arbeitgebers – gegen den Wunsch des Arbeitnehmers – ist zulässig. Ein entsprechender Vorbehalt zugunsten einer einmaligen Kapitalabfindung kann zunächst ohne Angabe von Gründen in die Zusage aufgenommen werden.
- Bei der Ausübung des Kapitalwahlrechts einseitig durch den Arbeitgeber muss dieser nach billigem Ermessen handeln. Ihn trifft die Darlegungs- und Beweislast, dass seine Interessen an der einmaligen Kapitalzahlung die Interessen des Arbeitnehmers an einer Rentenzahlung überwiegen. Dazu hat das Bundesarbeitsgericht Hinweise zu möglichen legitimen Interessen beider Parteien gegeben.
- Die Ausübung vor Beginn der Rentenleistung verstößt auch nicht gegen das Abfindungsverbot gemäß § 3 BetrAVG.
- Es muss in jedem Fall eine barwertgleiche Kapitalzahlung erfolgen. Zur Berechnung trifft das BAG in beiden Urteilen (noch) keine Aussage. Eine Orientierung an § 4 Abs. 5 BetrAVG scheint sinnvoll. Ob bei kongruent rückgedeckten Pensions- und Unterstützungskassenzusagen, auch der Wert der kongruenten Rückdeckungsversicherung ausreichend ist, ist nach den Hinweisen der Aktuare zum Versorgungsausgleich und zum Übertragungswert durchaus denkbar.
Der Fall
1997 erteilte der Arbeitgeber eine Pensionszusage über eine Altersrente i. H. v. 2000 DM im Monat. Dabei hatte sich die Firma ausdrücklich eine einmalige Kapitalabfindung der Rente vorbehalten: „Die Firma behält sich vor, anstelle der Renten eine einmalige Kapitalabfindung zu zahlen. Bei der Ermittlung des Wertes der einmaligen Kapitalabfindung werden die ertragssteuerlich anzuwendenden Rechnungsgrundlagen (zur Zeit die Richttafeln 1983 von Dr. Klaus Heubeck) unter Berücksichtigung des gemäß § 6a EStG vorgeschriebenen Rechnungszinsfußes zugrunde gelegt.“ Zur Finanzierung wurde eine kongruente Rückdeckungsversicherung auf das Leben des Arbeitnehmers abgeschlossen und an ihn verpfändet.
2005 vereinbarte die Rechtsnachfolgerin des Arbeitgebers einen Nachtrag zur Versorgungszusage und formulierte den Vorbehalt wie folgt: „Die Firma behält sich vor, anstelle der Renten eine wertgleiche, einmalige Kapitalabfindung zu zahlen; hierdurch erlöschen sämtliche Ansprüche aus dieser Versorgungszusage. Die Höhe der einmaligen Kapitalzahlung entspricht dem Barwert der künftigen Versorgungsansprüche und Versorgungsanwartschaften, ermittelt nach den Rechnungsgrundlagen des versicherungsmathematischen Gutachtens über die Höhe der ertragssteuerlich zulässigen Pensionsrückstellung gemäß § 6a EStG zum letzten Bilanztermin vor der Abfindung.“
April 2020 teilte der ehemalige Arbeitgeber dem Betriebsrentner mit, dass er von seinem Recht Gebrauch mache, anstelle einer monatlichen Rente eine einmalige Kapitalabfindung zu zahlen, die zum 1. Oktober 2020 fällig werde. Er bezifferte die Kapitalabfindung mit einem Bruttobetrag i. H. v. 153.787,79 Euro, beruhend auf einem von Rückdeckungsversicherung ermittelten Barwert von 12,53266159 je 1 Euro Altersrente pro Jahr.
Der Betriebsrentner wollte stattdessen die Rentenzahlung i. H. v. 1022,58 Euro und klagte.
Das Urteil
Das Bundesarbeitsgericht konnte auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht abschließend beurteilen, ob die Klage begründet ist oder nicht. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung. Dabei hat das Bundesarbeitsgericht dem Landesarbeitsgericht für seine Entscheidung Leitlinien mit auf den Weg gegeben. Diese sind für die Praxis wichtig und hilfreich.
Anwendung des AGB-Rechts auf die Versorgungszusage
Zunächst stellt das Bundesarbeitsgericht fest, dass die Versorgungszusage als „Einmalbedingung“ gemäß § 310 Abs. 3 Nr. Abs. 3 Nr. 2 BGB unter das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen fällt. Einmalbedingungen sind vorformulierte Vertragsbedingungen, wenn diese nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind und soweit der Verbraucher auf Grund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte. Das Bundesarbeitsgericht kommt zum Schluss, dass ein in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Versorgungsschuldners geregeltes Recht, nach seiner Entscheidung anstelle der Zahlung laufender Renten eine mindestens barwertgleiche, einmalige Kapitalzahlung zu leisten, mit § 308 Nr. 4 BGB vereinbar ist.
Billiges Ermessen bei einseitigen Kapitalwahlrechten
Die konkrete Ausübung der Ersetzungsbefugnis muss jedoch die Grenzen billigen Ermessens i. S. v. § 315 BGB wahren. Denn der Begriff der Zumutbarkeit in § 308 Nr. 4 BGB verlangt eine Abwägung zwischen den Interessen des Klauselverwenders (Arbeitgeber) an der Möglichkeit einer Änderung seiner Leistung und denen des anderen Vertragsteils (Betriebsrentners) an deren Unveränderlichkeit. Die Zumutbarkeit einer Leistungsänderungsklausel ist zu bejahen, wenn die Interessen des Verwenders (Arbeitgebers) die für das jeweilige Geschäft typischen Interessen des anderen Vertragsteils (Betriebsrentner) überwiegen oder ihnen zumindest gleichwertig sind. Was heißt das für die betriebliche Altersversorgung?
Die Interessenlage des Arbeitgebers: Kalkulierbarkeit
Der Arbeitgeber – als der die Versorgung Versprechende – hat ein legitimes Interesse daran, sich im Zeitpunkt der Versorgungszusage vorzubehalten, die versprochene Zahlung laufender Renten durch eine wertgleiche einmalige Kapitalleistung zu ersetzen. Bei einer Versorgungszusage handelt es sich um eine typischerweise auf Jahrzehnte angelegte Leistungsverpflichtung, die wegen ihrer Langfristigkeit in besonderem Maße Unsicherheiten und Unwägbarkeiten unterworfen ist. Sowohl die wirtschaftlichen als auch die rechtlichen Rahmenbedingungen können sich, ohne dass dies im Zeitpunkt der Zusage absehbar wäre, bis zum Eintritt des Versorgungsfalls erheblich ändern. Daraus kann ein nachvollziehbares Interesse entstehen, durch eine Kapitalisierung das Versorgungsverhältnis kurzfristig zu beenden und hierdurch die betriebliche Altersversorgung kalkulierbarer zu gestalten.
Besondere Interessen des Arbeitgebers an einer Kapitalleistung
Für den Arbeitgeber als Versorgungsschuldner kann ein Interesse an der Umstellung auf eine Kapitalleistung erwachsen. Das Bundesarbeitsgericht nennt dazu konkret folgende Interessen des Arbeitgebers:
- Um einen bei der Erteilung der ursprünglichen Zusage nicht vorhersehbar gestiegenen Verwaltungsaufwand zu reduzieren.
- Der Umstand, dass er seinen Betrieb einstellen, übergeben oder stilllegen und deshalb die bestehenden Versorgungszusagen, früher erfüllen möchte, kann ebenfalls ein für die Ersetzung der zugesagten Rente durch eine Kapitalleistung sprechendes Interesse sein.
- Ebenso zugunsten des Arbeitgebers zu berücksichtigen wäre eine mit der Ersetzung einhergehende Erhöhung der Kapitalleistung gegenüber dem versicherungsmathematisch ermittelten Barwert der laufenden Leistung, mithin eine Leistungsverbesserung.
- Aber auch wirtschaftliche Probleme des Arbeitgebers können im Zusammenhang mit einer durch die Ersetzung eintretenden Verbesserung bei der Bilanzierung und Finanzierung der Versorgungsleistung beachtlich sein.
- Eine gegenüber der Situation bei Erteilung der Versorgungszusage relevante Veränderung rechtlicher Rahmenbedingungen kann zu berücksichtigen sein.
Die Interessenlage des Arbeitnehmers: Wertgleichheit der Abfindung
Dem Interesse des Arbeitnehmers, dass ihm nicht bereits erdientes Entgelt im Nachhinein – unmittelbar vor Eintritt des Versorgungsfalls – auch nur teilweise wieder entzogen wird, obwohl er seine Gegenleistungen während des bestehenden Arbeitsverhältnisses bereits vollständig erbracht hat, ist in der Klausel dadurch Rechnung getragen, dass die zugesagte Rentenzahlung nur durch eine wertgleiche Kapitalleistung ersetzt werden kann. Anderenfalls wäre sie dem Betriebsrentner nicht zumutbar i. S. v. § 308 Nr. 4 BGB. Betriebliche Altersversorgung hat Versorgungs-, aber auch Entgeltcharakter, sie stellt eine Gegenleistung für die Beschäftigungszeit dar und damit auch für die während der Beschäftigung erbrachte Tätigkeit des Arbeitnehmers. Bei bestehender Gleichwertigkeit erhält der Arbeitnehmer jedoch die volle Gegenleistung, nur in einer anderen Form. Laufende Rentenzahlungen und einmalige Kapitalleistungen sind nach dem Betriebsrentengesetz grundsätzlich gleichwertige Formen der betrieblichen Altersversorgung.
Besondere Interessen des Arbeitnehmers an einer Rentenzahlung
Der Arbeitnehmer hat typischerweise auch gewichtige Interessen an der Beibehaltung der zugesagten Rentenzahlungen anstelle einer wertgleichen Kapitalleistung.
- Mit der Zusage einer lebenslangen Rente übernimmt der Arbeitgeber letztlich das sog. Langlebigkeitsrisiko unter Beachtung der Anpassungsprüfungs- und -entscheidungspflicht nach § 16 BetrAVG.
- Zudem birgt der Wechsel von laufenden Rentenleistungen hin zu einer Kapitalleistung die Gefahr, dass es aufgrund der Progressionswirkung zu einer höheren Steuerlast des Versorgungsempfängers kommt. Dies gilt auch bei Leistung des Kapitalbetrags in Teilbeträgen, die dem Versorgungsberechtigten in mehreren Jahren zufließen.
- Im Hinblick auf eine mögliche Zwangsvollstreckung führt der Übergang von laufenden Rentenleistungen zu einer Kapitalleistung ebenfalls zu Veränderungen. Während laufende Rentenleistungen dem Pfändungsschutz des § 850c ZPO unterliegen, unterfallen Kapitalleistungen dem Pfändungsschutz nach § 850i ZPO, wobei zur Bewirkung des Pfändungsschutzes ein Antrag, d. h. ein Tätigwerden des Schuldners nötig ist.
Abwägen der Interessen durch den Arbeitgeber nötig
Diese Interessen des Arbeitnehmers an der Beibehaltung monatlicher Rentenzahlungen vermögen jedoch nicht grundsätzlich das Interesse des Arbeitgebers an der Möglichkeit einer Ersetzung der Rentenzahlungen durch eine gleichwertige Kapitalleistung zu überwiegen. Sie stehen daher nicht bereits der Zumutbarkeit einer entsprechenden Ersetzungsklausel i. S. v. § 308 Nr. 4 BGB entgegen. Die Abwägung der konkreten wechselseitigen Interessen erfolgt jedoch nach den bei der Ausübung der Ersetzungsbefugnis durch den Arbeitgeber gegebenen Umständen. Die Ausübung eines Änderungsvorbehalts durch den Arbeitgeber muss gemäß § 315 Abs. 1 BGB im Zweifel billigem Ermessen entsprechen. Die Darlegungs- und Beweislast liegt beim Arbeitgeber.
Muss der Arbeitgeber von vornherein die Gründe nennen?
Der Zumutbarkeit i. S. v. § 308 Nr. 4 BGB steht auch nicht entgegen, dass in der Klausel keine Gründe für die Ausübung der Ersetzungsbefugnis genannt sind. Eine nähere Spezifizierung von Gründen für die Ausübung der Ersetzungsbefugnis ist dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Erteilung der Versorgungszusage typischerweise nicht möglich. Gerade weil die Entwicklung der wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen er die Versorgungszusage erteilt, bis zum Eintritt des Versorgungsfalls nicht absehbar ist, hat er ein legitimes Interesse daran, sich vorzubehalten, unter Wahrung billigen Ermessens i. S. v. § 315 Abs. 1 BGB die zugesagte Rentenzahlung durch eine wertgleiche Kapitalleistung zu ersetzen. Ein Verweis auf noch nicht absehbare Änderungen der wirtschaftlichen oder rechtlichen Rahmenbedingungen bedeutete keinen relevanten Mehrgewinn an Transparenz, sondern stellte letztlich eine bloße Leerformel dar. Die besonderen Umstände bei der Zusage von auf lange Frist eingegangenen Versorgungsverpflichtungen stellen insofern eine Besonderheit des Arbeitsrechts i. S. v. § 310 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1 BGB dar.
Eine andere Sichtweise würde letztlich dazu führen, dass Arbeitgeber keine lebenslangen Renten, sondern nur noch einmalige Kapitalleistungen zusagen, um gegen künftige Unwägbarkeiten gewappnet zu sein, was nicht im Interesse der Versorgungsempfänger wäre.
Im Übrigen: Kapitalabfindung verstößt nicht gegen das Abfindungsverbot.
Die Ersetzungsbefugnis verstößt weder gegen das Verzichtsverbot aus § 3 BetrAVG noch stehen ihr betriebsrentenrechtliche Wertungen entgegen. Denn durch die Kapitalleistung wird der Anspruch aus der Versorgungszusage erfüllt. Das Kapitalwahlrecht kann allerdings nur bis zum Beginn des Leistungszeitraums ausgeübt werden. Ansonsten müssten, da es sich dann um eine Abfindung bereits laufender Rentenleistungen handeln würde, die Voraussetzungen von § 3 BetrAVG erfüllt sein. Ein durch die Versorgungsregelung vorgesehenes Kapitalwahlrecht des Arbeitgebers ist in § 3 BetrAVG nicht privilegiert.